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Braucht Politik auch mal Kraftausdrücke? 

© stock.adobe.com

Man wird doch wohl noch „Bullshit“ sagen dürfen : Braucht Politik auch mal Kraftausdrücke? 

Politik ist die Kunst des Kompromisses. Ist es trotzdem sinnvoll, verbal auch auszuteilen wie zuletzt Bärbel Bas gegen Friedrich Merz? Drei Tagesspiegel-Autoren sagen ihre Meinung.

Stand:

Wer ernsthaft diskutieren will, sollte sein Gegenüber nicht beleidigen. Eigentlich eine Binse. Gerade in der Politik ist diese aber wenig verbreitet, auch und sogar unter Koalitionsfreunden nicht.

Wer seine Regierungspartner (nicht die aktuellen) als „Wildsäue“ oder „Gurkentruppe“ bezeichnet, braucht keinen politischen Gegner mehr. Erklärt die SPD-Kabinettskollegin Bärbel Bas ihrem CDU-Kanzler Friedrich Merz, dass er „Bullshit“ redet, denkt der sicher nicht als allererstes ans Einlenken bei seinen Kürzungsplänen zum Bürgergeld.

Andererseits: Wer Aufmerksamkeit für seine Anliegen und seine Positionen will – und welche Politikerin will die nicht –, muss sie auf sich lenken, und zwar hörbar. In unserer Rubrik „3 auf 1“ beschäftigen sich deshalb drei Tagesspiegel-Autoren mit der Frage, ob Politik auch mal Kraftausdrücke braucht.


Die realen Probleme sind roh genug

Mit Karl Lagerfeld ließe sich sagen: Wer in Debatten Kraftausdrücke wie „Bullshit“ nutzt, hat die Kontrolle über seine Position verloren. Kraftausdrücke sind wie Rumschreien: Sie belegen nichts, sie führen nicht weiter, sie verprellen im Zweifelsfall das Gegenüber. Alles wenig hilfreich. Jedenfalls nicht, solange Debatten noch mit dem Ziel geführt werden, Lösungen zu finden.

Sicherlich verlieren auch Politikerinnen und Politiker mal die Nerven und vergreifen sich in Ton und Wortwahl. Geschenkt. Dafür könnte man sich später entschuldigen. Stattdessen sieht es aus, als würden sie sich für ihre Ausfälle klammheimlich feiern, Motto: Da habe ich mich jetzt aber mal etwas getraut.

Das ist umso trauriger, als doch gerade – auch zu ihrem eigenen Missvergnügen – im Weißen Haus jemand sitzt, der genau so verfährt. Und was kommt da bei heraus? Eben: nichts. Außer eine Verrohung und Brutalisierung der Sitten, die wirklich niemand braucht, weil die realen Probleme roh und brutal genug sind.

Die Handelnden in der Politik sollten, wenn sie schon keine sinnvollen Ansätze für Problemlösungen haben, unbedingt darauf achten, dass sie das möglichst zivilisiert kundtun. Das ist nicht zu viel verlangt.


Lieber ein Weckruf als gar kein Leben

Kraftausdrücke können wie Weckrufe wirken. Insofern haben sie, maßvoll dosiert, auch und gerade in der Politik eine durchaus wünschenswerte Wirkung.

Wenn man sich gegenseitig permanent anschreit und beleidigt, geht die Debattenkultur verloren. Hingegen ist ein gelegentlich in den Ring geworfenes, deftiges Wort gut geeignet, verbal auf den Tisch zu hauen. Das gilt besonders dann, wenn niemand persönlich verunglimpft wird.

Früher mal...

„Wildsäue“, „Gurkentruppe“: Als unter Angela Merkel CDU, FDP und CSU zusammen regierten, sprachen die Koalitionspartner durchaus unfreundlich übereinander.

© Klaus Stuttmann

Es hilft, das Wort auf Englisch zu verwenden, denn in einer anderen Sprache klingen Kraftausdrücke nicht so ordinär. Wenn die Sozialministerin Einsparungen als „Bullshit” bezeichnet, kann das freilich auch als Eigentor enden. Schließlich wird mancher gerade die Verweigerung von Einsparungen als „Bullshit“ empfinden.

Viele Wähler nehmen die Politik inzwischen als zu weichgespült wahr: Krankend an ängstlicher Verschieberitis, getrieben von der Sucht nach noch und noch mehr Beratung, um nur ja nichts falsch zu machen.

Zwar handelt es sich bei der Verwendung des Kraftausdrucks, streng genommen, um die Übertretung einer gängigen Benimmregel. Sie ist aber immerhin mit der erfreulichen Einsicht verbunden, dass da noch Leben ist.


Die Fehlerkultur ist das eigentliche Problem

Keine Frage, das „Bullshit“ von Bärbel Bas war unnötig. Ich vermute, die SPD-Vorsitzende sieht dies genauso. Leider gilt im Berliner Kosmos die ungeschriebene, aus der Zeit gefallene Regel, wonach Politiker in der Öffentlichkeit bloß nicht zu oft um Entschuldigung bitten sollten. Also eigentlich nie oder höchstens ein Mal. Ansonsten könnte die Karriere schweren Schaden nehmen, heißt es.

Dieser rückständige Umgang mit Fehlern ist das eigentliche Problem. Engagiertes Streiten unter Demokraten, bei dem gelegentlich auch einmal Kraftausdrücke fallen, wird Deutschland ganz sicher keine Trumpschen Verhältnisse bringen. Das geschieht eher durch das Normalisieren von Rechtsextremen.

Sieht man vom toxischen Herumlärmen der AfD-Abgeordneten im Bundestagsplenum ab, lässt sich übrigens festhalten, dass der Umgang der Parteien untereinander heute zivilisierter ist als im vergangenen Jahrhundert.

Davon kann man sich beispielsweise in Günter Purschs Klassiker „Das neue parlamentarische Schimpfbuch” überzeugen. Im Vergleich zu dem Ausmaß, in dem früher herumgeflucht und beleidigt wurde, strotzen heutige Debatten vor Achtsamkeit.

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