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Neuer Ampel-Konflikt? Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) (vrnl.) neben Robert Habeck (Die Grünen) und Christian Lindner (FDP).

© dpa/Michael Kappeler

Massiv steigende Krankenkassenbeiträge: Die Koalition streitet nicht nur um die Lösung, sondern auch um das Problem

Die historische Erhöhung der Krankenkassenbeiträge platzt in den Ampel-Konflikt um Sozialabgaben. Und birgt neuen Sprengstoff für die Regierung.

Thomas Trappe
Ein Kommentar von Thomas Trappe

Stand:

FDPler lockt derzeit ein Vorwurf besonders aus der Reserve: Ampel-Blockierer zu sein. Verletzte liberale Gefühle ersparen nicht den Blick auf die Faktenlage, aktuell im Feld der Sozial- und Gesundheitspolitik. Dort könnte Finanzminister Christian Lindner mit der astreinen Blockade eines seit Jahrzehnten etablierten Instruments zur Berechnung der Sozialabgaben die große Masse der Arbeitnehmer im kommenden Jahr Geld kosten.

Kämen die Ampel-Partner auf die Idee, diese drohenden Zusatzkosten als „Lindner-Zuschlag“ zu labeln, hätte das wahlkämpferischen Reiz.

Wenn es doch nicht längst um etwas anderes gehen würde. Dass die Ampel im Kampf gegen Rekordmarken erreichende Abgaben, namentlich in der Kranken- und Pflegeversicherung, zusehends verzweifelt nach Antworten sucht. Und auch noch uneins ist, wie eigentlich die Frage zu lauten hat.

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Gestern verkündete der sogenannte Schätzerkreis der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), um wie viel die durchschnittlichen Zusatzbeiträge der Krankenversicherung im Jahr 2025 steigen müssen: um 0,8 Prozentpunkte. Hinzu kommt die absehbare Anhebung in der Pflegeversicherung um mindestens 0,2 Punkte, eher wohl 0,3.

Durchschnittsarbeitnehmer müssen damit 2025 vom Netto nochmal einen mittleren dreistelligen Euro-Betrag zusätzlich abziehen, Arbeitgeber die gleiche Summe auf die Lohnkosten draufschlagen. Die Sozialabgaben kommen damit an die Rekordmarke von 1997 und 1998 heran. Treiber waren damals die Renten- und Arbeitslosenversicherung, hier gab es seitdem deutliche Rückgänge, die aber durch konstante Anstiege in Kranken- und Pflegeversicherung kompensiert wurden.

Beim möglichen Reißen der historischen Marke aus der Kohl-Ära könnte Lindner nun das Zünglein an der Waage sein. Denn wenn Besserverdiener aufgrund eingefrorener Bemessungsgrenzen weniger einzahlen würden, müsste das fehlende Geld von Mittel- und Geringverdienern geholt werden – mithin der Zusatzbeitrag noch stärker steigen, schätzungsweise um 0,1 Punkte. Lindner verbindet dies gerade mit einer kommunikativen Glanzleistung. Er wehre sich, sagt der Finanzminister, doch nur gegen die Pläne von Arbeitsminister Hubertus Heil, Besserverdienende im kommenden Jahr zusätzlich zu belasten.

Tatsächlich steigen die Grenzen für das Einkommen, bis zu denen Beiträge für Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherungen abgeführt werden müssen, im kommenden Jahr sehr viel stärker als zuvor. Nur handelt es sich dabei um einen vor fast 70 Jahren gesetzlich festgelegten Mechanismus, den Heil zwar per Verordnung umsetzt, der aber nicht in seinem Ermessen liegt, sondern an der Lohnentwicklung des Vorjahres. Lindner wehrt sich hier quasi nicht gegen einen Plan Heils, sondern gegen ein Gesetz der Regierung Adenauer.

Nachdem es am Montag noch so geschienen hatte, als würde Lindner die Blockade aufgeben, errichtete er sie prompt am Dienstagmorgen wieder, begleitet vom mittlerweile gewohnten Ampel-Gejohle, bei dem sich Grüne und FDP gegenseitig Blockaden vorwarfen, schließlich auch Lügen.

Ein Anstieg der Beitragsbemessungsgrenze, so Lindners Parole jetzt, gebe es nur, wenn die Grünen seinem Steuerentlastungspaket zustimmten. Worauf es bei Grünen und SPD sinngemäß hieß, man sehe gar nicht das Problem, denn man sei bereit, dem Plan zuzustimmen. Und der Schätzerkreis, auch das ein historisches Novum, bat am Dienstagabend um einen Tag Aufschub für seine Prognosen, auch, weil nicht klar war, ob nun die Beitragsbemessungsgrenze regulär steigt oder nicht. Die Ampel ist bei den Sozialabgaben unberechenbar geworden, im Wortsinn.

Minister Karl Lauterbach indes bleibt berechenbar. Er kündigte gestern erneut an, dass mit der am Donnerstag im Bundestag zu verabschiedenden Krankenhausreform die Kosten in den Krankenkassen schon bald sinken würden – obwohl doch die gesetzlich Versicherten über die kommenden zehn Jahre mit 25 Milliarden Euro zur Kasse gebeten werden, um den Strukturumbau zu finanzieren. Wie diese Zauberformel ausgeht, kann dann die kommende Bundesregierung klären.

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