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Der Schrecken, der nicht vergeht. Das Mahnmal für die Opfer des Anschlags auf das Oktoberfest in München

© imago images/Lindenthaler

Mehr Geld nach 40 Jahren: Justizministerium erwägt Entschädigung für Opfer des Oktoberfest-Attentats

Etwa 100 Opfer des Anschlags auf das Oktoberfest von 1980 in München leben noch. Bundesjustizministerin Lambrecht will ihnen mit einer „Solidarleistung“ helfen.

Von Frank Jansen

Die Opfer des rechtsextremen Anschlags vom September 1980 auf das Oktoberfest in München sollen zusätzliche finanzielle Hilfe bekommen. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) setze sich für eine „Solidarleistung“ ein, sagte am Mittwoch ein Sprecher. Als Grund nannte er die Feststellung der Bundesanwaltschaft, der Täter Gundolf Köhler habe „aus einer rechtsextremistischen Motivation“ gehandelt.

Die Anklagebehörde hatte am Montag die 2014 wieder aufgenommenen Ermittlungen zu möglichen Hintermännern eingestellt, aber den politischen Hintergrund des Anschlags betont.

Köhler habe kurz vor der Tat den „Wunsch nach einem dem nationalsozialistischen Vorbild folgenden Führerstaat“ geäußert, heißt es. Der Rechtsextremist soll zudem über eine Beeinflussung der Bundestagswahl im Oktober 1980 gesprochen haben. Damals trat der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß gegen den sozialdemokratischen Bundeskanzler Helmut Schmidt an und verlor.

Münchens Oberbürgermeister setzt sich für Opfer ein

Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) forderte am Mittwoch, die Bewertung des Tatmotivs durch die Ermittler sollte „die Grundlage dafür sein, dass die Angehörigen und Betroffenen eine längst überfällige Entschädigung aus den Fonds des Bundesamts für Justiz für Opfer terroristischer beziehungsweise rechtsextremistischer Straftaten erhalten“. Reiter und Lambrecht besprechen nun, wie den noch etwa 100 lebenden Opfern des Anschlags zu helfen wäre. Nach Informationen des Tagesspiegels ist ein zumindest hoher sechsstelliger Betrag aus mehreren Töpfen denkbar.

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13 Tote, mehr als 200 Verletzte

Köhler hatte am späten Abend des 26. September 1980 nahe dem Haupteingang zum Oktoberfest eine Bombe gezündet. Der Neonazi und zwölf weitere Menschen starben, mehr als 200 Besucher der Wiesn wurden verletzt, einige schwer. Die Bundesanwaltschaft stellte 1982 die Ermittlungen ein und beschrieb Köhler als Einzeltäter mit privaten Problemen,  obwohl seine Verbindungen zur rechtsextremen Szene, vor allem zur Wehrsportgruppe Hoffmann, bekannt waren.. 2014 wurde der Fall nach einer Zeugenaussage zu einem angeblichen Mittäter wieder aufgerollt. Schon zu Beginn der neuen Ermittlungen sagte die Bundesanwaltschaft, das Oktoberfestattentat sei „der schwerste rechtsterroristische Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“.

Unterstützung durch Versorgungsamt reicht nicht

Der Münchener Anwalt Werner Dietrich, der 15 Opfer betreut, berichtete dem Tagesspiegel jetzt von einer Mandantin, die mehr als 90 Operationen überstehen musste und weiter unter Splittern im Körper leidet. Für Dietrich füllt die finanzielle Hilfe fr die Opfer den Zeitraum von 40 Jahren nicht aus. Das bayerische Sozialministerium sagt, 128 Verletzte hätten zweieinhalb Wochen nach dem Anschlag 500.000 D-Mark erhalten, das sind ungefähr 250.000 Euro. Der Betrag habe ein "Schmerzensgeld im weiteren Sinne" dargestellt. Die Opfer bekamen zudem 1981 und 1982 von der Stadt München insgesamt eine Million D-Mark, darunter auch Gelder aus Spenden. 2018 richtete die Stadt einen Fonds ein, in den 100.000 Euro flossen. Das Geld ist für Opfer des Anschlags, bei denen die Unterstützung durch das Versorgungsamt nicht reicht.

Aus Dietrichs Sicht sind die Opfer bei den Versorgungsämtern einem „Spießrutenlauf“ ausgesetzt. Dass auch die Stadt zusätzliche Leistungen für nötig hält, zeigt die 2018 erfolgte Einrichtung des Fonds. Der sei für akute Fälle, heißt es. Geschädigte des Oktoberfestattentats bekämen über den Fonds Rollstühle, Kuren oder auch psychiatrische Behandlungen bezahlt. Die 2018 für den Fonds eingestellten 50.000 Euro seien ein Jahr später bereits aufgebraucht gewesen. Der Etat sei 2019 um weitere 50.000 Euro aufgestockt worden.

Mehr als 1000 Vernehmungen

Die Bundesanwaltschaft und die vom bayerischen Landeskriminalamt eingerichtete Soko „26. September“ befragten bei den neuen Ermittlungen auch noch mal die Opfer. Bei den Untersuchungen insgesamt wurde offenbar keine Mühe gescheut. Die Bundesanwaltschaft berichtet von mehr als 1000 Vernehmungen, außerdem seien 770 Spuren und 1081 „Unterspuren“ bearbeitet worden. Die Ermittler sichteten auch mehr als 300.000 Seiten aus Akten, die der Verfassungsschutz, die Landeskriminalämter, der Bundesbeauftragte für die Unterlagen der Stasi und weitere Behörden auf Anfrage geliefert hatten. Die Bundesanwaltschaft betont zudem, auch wenn keine Mittäter ermittelt wurden, könne eine Beteiligung weiterer Personen „als Anstifter, Gehilfen oder Mittäter“ nicht ausgeschlossen werden.

Opferanwalt lobt Bundesanwaltschaft

Selbst Anwalt Dietrich, der seit Jahrzehnten Fehler der Behörden nach dem Oktoberfestattentat rügt, lobt nun die Bundesanwaltschaft. Sie habe „ausgesprochen gründlich, kompetent und ergebnisoffen ermittelt“. Es habe „eine komplette Neubewertung der Tat“ gegeben, sagte Dietrich, der die 216 Seiten umfassende Verfügung von Generalbundesanwalt Peter Frank zur Einstellung des Verfahrens am Montagabend erhielt.

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