zum Hauptinhalt
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (Mitte) muss sich mit zahlreichen Korruptionsvorwürfen gegen Funktionäre seiner Partei AKP beschäftigen.

© AFP

Menschenschmuggel nach Deutschland: Ein Schleuser-Skandal könnte Erdogan gefährlich werden

Funktionäre der türkischen Regierungspartei AKP sollen bis zu 1000 Menschen nach Deutschland gebracht haben.

Das „Projekt für Umweltsensibilität“ bot den Bewohnern von Korgan im Nordosten der Türkei eine völlig neue Perspektive. Die Behörden dort organisierten im vergangenen Sommer eine zehntägige Delegationsreise nach Hannover. Offizielles Ziel war es, die Praxis der deutschen Umweltpolitik zu begutachten. Auf der Liste der Delegationsmitglieder standen 53 Namen – doch am Ende der Reise kehrten nur vier Teilnehmer in die Türkei zurück, wie die Zeitung „Sözcü“ meldete.

Denn in Wirklichkeit diente das Projekt dem Menschenschmuggel. Funktionäre der Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan haben nach Schätzung von Oppositionspolitikern in den vergangenen zwei Jahren mit solchen Reisen bis zu 1000 Menschen nach Deutschland geschleust. In Hannover ermittelt deshalb die Staatsanwaltschaft.

Die AKP-Politiker bekamen bis zu 8000 Euro pro Sonderpass

Für diese Reisen besorgten AKP-Lokalpolitiker Sonderpässe für die Teilnehmer, um sie ohne Visum nach Deutschland zu schicken. Da die AKP viele Rathäuser beherrscht und als Regierungspartei enge Verbindungen zu Polizei und Justiz hat, mussten die Politiker keine Kontrollen befürchten. Teilnehmer zahlten zwischen 5000 und 8000 Euro.

Ein Mann, der mit dem „Projekt für Umweltsensibilität“ nach Deutschland kam, berichtete der Nachrichtenplattform „Arti Gercek“, er habe in der Bundesrepublik inzwischen einen gesicherten Aufenthaltsstatus. Der Teilnehmer eines ähnlichen Projektes im südostanatolischen Bingöl sagte der Internetzeitung „Habertürk“: Alles, was man brauche, sei das Geld für die Reise. Er bereue nicht, nach Deutschland gekommen zu sein, sagte der Mann, der ungenannt bleiben wollte. In seiner Heimat finde er keine Arbeit. „Wer sagt schon Nein zu so einem Angebot?“ Bis zum Herbst seien pro Woche drei bis vier Busse aus der Türkei in Deutschland angekommen. Andere Medien berichten, die Reisen gingen auch heute noch weiter.

Die AKP-Vertreter sind sich keiner Schuld bewusst. Es seien nur Leute nach Deutschland geschickt worden, die der Türkei zur Last gefallen wären, sagt der AKP-Bürgermeister Sabahattin Kaya aus dem ostanatolischen Akcakiraz. Er hatte vor zwei Jahren ein Projekt mit dem Namen „Lasst uns unsere Zukunft nicht in den Müll werfen“ auf den Weg gebracht. Auch dabei war Menschenschmuggel nach Deutschland der eigentliche Zweck, wie Kaya gegenüber „Sözcü“ offen zugab. Akcakiraz sei eine arme Gegend, sagte der Bürgermeister. Die Leute seien nach Bremen geschickt worden, damit sie dort Geld verdienen und ihre Familien in der Heimat unterstützen: „Alles, wobei der Nutzen größer ist als der Schaden, ist gottgefällig.“ Von 20 Delegationsmitgliedern blieben 17 in Bremen.

[Wenn Sie die wichtigsten Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Wer an den illegalen Reisen verdient hat, ist unklar. Eine Schlüsselfigur bei dem Menschenschmuggel sei der in Deutschland lebende Geschäftsmann Ersin K., berichtete „Sözcü“. K. soll demnach die Reisen eingefädelt haben, weist aber jede Verantwortung von sich. Die AKP-Politiker wollten die Schuld für den Skandal bei ihm abladen, sagte K. in „Habertürk“.

Der AKP-Politiker Ali A. wird in den Medien als weiterer Drahtzieher genannt – auch er bestreitet die Vorwürfe, wie „Habertürk“ meldet. K. bestätigte, dass in Deutschland gegen ihn ermittelt wird. Wie die Linken-Bundestagsabgeordnete Gökay Akbulut dem Tagesspiegel sagte, geht es bei den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Hannover um den Verdacht auf Verstoß gegen die Aufenthaltsgesetze. Die Staatsanwaltschaft war am Dienstag nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.

Die Korruptionsvorwürfe gegen die AKP häufen sich

Das türkische Innenministerium leitete Ermittlungen gegen mehrere Lokalverwaltungen ein und stoppte die Vergabe von Sonderpässen. Die Ermittlungen richten sich auch gegen oppositionsgeführte Stadtverwaltungen, gegen die es bisher keine Vorwürfe gab. Einer der betroffenen Bürgermeister sagte, die Regierung wolle von den Verfehlungen der AKP-Politiker ablenken.

Für die AKP und Erdogan ist der Skandal gefährlich, denn die Korruptionsvorwürfe gegen die Partei häufen sich. Der Eindruck, dass sich AKP-Politiker die Taschen füllen, während Normalbürger unter der schlechten Wirtschaftslage leiden, lässt die Unterstützung für die Regierung sinken. Nun kommt der Skandal um die illegalen Reisen hinzu.

Die türkische Opposition will wissen, wie viele Menschen insgesamt von AKP-Stadtverwaltungen nach Deutschland geschleust wurden. In Deutschland will Akbulut das Thema an diesem Mittwoch bei einer Fragestunde im Bundestag ansprechen. Sie fordert, Druck auf die türkische Regierung auszuüben, um den Menschenschmuggel zu beenden. Zudem müssten die Asylanträge von Türken überprüft werden, die auf diesen Reisen illegal nach Deutschland gekommen seien.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false