Politik: Merkel warnt vor Spaltung Europas
In Polen mahnt die Kanzlerin ein gemeinsames Auftreten in der EU an / Appell für eine neue Verfassung
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Die polnischen Gastgeber haben sich mächtig ins Zeug gelegt. Auf dem Platz vor dem prunkvollen Tor der Universität Warschau verlegen drei Dutzend Männer in frisch gewaschenen Arbeitsoveralls emsig Pflastersteine. Zwei kleine Schaufelbagger fahren auf der Baustelle geschäftig hin und her. Das Signal an die deutsche Kanzlerin soll eindeutig sein: Hier geht was! Die Studenten, die in Richtung Campus schlendern, machen ihre Späße. „Das nennt man wohl Realpolitik“, spottet ein junger Mann. Er und seine Freunde wollen sich anhören, was Kanzlerin Angela Merkel zu sagen hat, auch wenn er bisweilen nicht ganz nachvollziehen kann, warum sich die Politiker in Berlin und Warschau bisweilen in den Haaren liegen. „Für uns ist Europa Realität“, sagt er. Er studiert in Warschau Internationale Politik und hat schon zwei Auslandssemester hinter sich. Die Studenten werfen den Regierenden vor, bisweilen reichlich weltfremd zu denken. „Wir müssen uns bewegen, sonst bleiben wir auf der Strecke“, fasst er es in einem kurzen Satz zusammen – und liegt damit überraschend nahe auf der Argumentationslinie der Kanzlerin.
Eine Stunde lang redet Angela Merkel an der Universität in Warschau, und immer wieder mahnt sie, dass man sich weiterentwickeln müsse. Der Adressat ist eindeutig: die polnische Regierung, die sich in der Vergangenheit eher als Bremser in der Europäischen Union profiliert hat. Ganz am Anfang ihrer Rede äußert Merkel deutlich ihr Verständnis für die Polen. Sie weist darauf hin, dass sie in der Uckermark aufgewachsen ist und dass Polen für sie immer ein prägendes Land gewesen sei.
Doch Merkel will bei ihrem Besuch in Polen vorausblicken, nicht in der Vergangenheit verhaftet bleiben. Es sei wichtig, dass sich beide Völker aussöhnten. Sie merkt dann aber noch an: auf diesem Weg dürfe man sich auch nicht irritieren lassen durch Klagen der sogenannten Preußischen Treuhand, die von der Bundesregierung keinerlei Unterstützung bekomme.
Auf diesem Weg der Aussöhnung spiele die Europäische Union eine zentrale Rolle, sagt die Kanzlerin schließlich und erreicht den zentralen Punkt ihrer Rede. Europa bestimmt nicht nur unsere Gegenwart, sondern auch unsere Zukunft, unterstreicht sie noch einmal die Bedeutung des Projektes, dem die Polen drei Jahre nach dem Beitritt des Landes noch immer skeptisch gegenüberstehen.
Zu groß seien die Herausforderungen, als dass ein Land allein sie meistern könne, sagt die Kanzlerin. Zusammenzuarbeiten heiße nicht, sich vom Rest der Welt abzukapseln. Die enge, freundschaftliche Partnerschaft mit den USA und eine starke Nato blieben ein fundamentales europäisches Interesse, unterstreicht sie. Und wieder schafft es Merkel ein heikles politisches Problem anzusprechen, ohne es direkt zu benennen. Denn übersetzt lautet der Appell an Warschau: keine Alleingänge in Sachen Raketenabwehrschirm.
Und dann schiebt die Bundeskanzlerin noch einmal die Mahnung hinterher: „Europa darf sich nicht spalten lassen.“ Man müsse gemeinsam und stark auftreten, fordert sie. Das sei in der jetzigen Form allerdings kaum mehr möglich. Die innere Ordnung der EU müsse einer Union mit 27 Ländern angepasst werden. Europa habe sich nach dem Scheitern der Referenden zur EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden eine Zeit des Nachdenkens verordnet. Merkel: „Diese Phase des Nachdenkens ist jetzt vorbei. Ich setze mich dafür ein, dass am Ende der deutschen Ratspräsidentschaft ein Fahrplan für das weitere Vorgehen verabschiedet werden kann.“ Dieser Satz kann als Ultimatum verstanden werden – und so ist er wohl auch gemeint. Die Botschaft, die Merkel an Polen richtet, ist deutlich, bisweilen auch hart, aber dennoch versöhnlich.
Knut Krohn[Warschau]
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