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Fußballfans feiern in Hamburg beim Viertelfinalspiel Deutschland-Frankreich während der WM 2014.

© dpa/Axel Heimken

Fußball-WM: Mitfiebern aus guten Gründen

Der WM-Titel 2014 war das alleinige Verdienst einer multiethnischen Fußballmannschaft. Das Team ist der beste Beweis dafür, wie grotesk das Verlangen nach einer bewahrenswerten deutschen Identität ist. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hannes Soltau

An diesem Sonntag bestreitet die deutsche Nationalmannschaft ihr erstes WM-Spiel gegen Mexiko. Noch finden sich im Berliner Stadtbild auffällig wenige deutsche Fahnen. Vielleicht ist das auch ein Ausdruck der allgemeinen Verunsicherung in Zeiten eines erstarkten Rechtspopulismus. Schließlich weckt Schwarz-Rot-Gold derzeit andere Assoziationen als ausgelassene Freude.

Fußball und Nationalismus teilen eine lange gemeinsame Geschichte. Ein Schwarz-Weiß-Foto mit fast schon ikonischem Charakter: Am 24. August 1992 steht ein Mann im Trikot der deutschen Fußballnationalmannschaft am Rande der rechtsradikalen Pogrome von Rostock-Lichtenhagen. Ein Urinfleck auf der Hose, den Arm zum Hitlergruß erhoben. Nur zwei Jahre zuvor waren Matthäus, Brehme und Völler Weltmeister geworden und hatten damit großen Anteil an einem wiedererstarkten, gesamtdeutschen Nationalbewusstsein.

2006 folgte das sogenannte Sommermärchen. Die Welt zu Gast bei Freunden. Das ganze Land ritt auf einer Welle. Von einem weltoffenen und unverkrampften Patriotismus schwärmten Politiker später. Doch Wissenschaftler wie Wilhelm Heitmeyer wiesen nach, dass nationalistische Tendenzen in Deutschland nach der Weltmeisterschaft sogar zugenommen hatten.

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Zeichen der Ausgrenzung

Die nationalen Insignien werden von völkisch-nationalistischen Kräften als Zeichen der Ausgrenzung verwendet. Beliebte Fangesänge wie „Steh auf, wenn du ein Deutscher bist!“ oder „Sieg, Sieg“-Rufe wirken unter diesen Vorzeichen deplatzierter als je zuvor.

Fußball ist seit seiner Erfindung ein Spiel nach dem Prinzip „Wir gegen euch“. Doch in den seichten Gewässern des erfahrbaren Wir-Gefühls, in denen sich bei vielen Fans auch die Sehnsucht nach Zusammenhalt und Zugehörigkeit spiegelt, können leicht die Untiefen des Nationalismus übersehen werden. Das zeigte sich auch im Falle der Nationalspieler Ilkay Gündogan und Mesut Özil. Bei aller Kritik, die ihre Bilder mit Erdogan verdienen, waren die Reaktionen oft nicht minder problematisch. Der Fall wurde zur Gretchenfrage der nationalen Identität stilisiert.

In Zeiten der globalen Renationalisierung kann nicht oft genug betont werden, dass Nationalität eine willkürliche Konstruktion ist. So schwer es manchen auch fallen mag: Ihr eigener Beitrag für die politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Vorzüge dieses Landes hält sich in ebenso überschaubaren Grenzen wie der Beitrag zum Weltmeistertitel 2014.

Die deutsche Nationalmannschaft ist nicht mehr deutsch? Was für ein Glück!

Das war das alleinige Verdienst einer 23-köpfigen multiethnischen Fußballmannschaft, die der beste Beweis dafür ist, wie grotesk das Verlangen nach einer bewahrenswerten deutschen Identität ist. Wenn AfD-Politiker Alexander Gauland also feststellt, dass die Nationalmannschaft „schon lange nicht mehr deutsch“ ist, dann gilt es ihm zu entgegnen: Was für ein Glück!

Natürlich sollen sich Fans heute freuen dürfen, wenn die Nationalmannschaft gegen Mexiko gewinnen sollte. Aber doch nicht, weil sie die gleiche Staatsangehörigkeit teilen, sondern weil sie mit den vertrauten Spielern mitfiebern, die – hoffentlich – attraktiven Sport präsentieren. Denn Fußball funktioniert nach einfachen, universalistischen Regeln, die unabhängig von Herkunft und Hautfarbe die Menschen zusammenbringen. Damit hat er der Weltpolitik derzeit einiges voraus.

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