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In einem Gerichtssaal im Oberlandesgericht liegt neben Prozessunterlagen und einem Gesetzbuch ein Buch über Kriminalität im Kongo.

© Bernd Weissbrod/dpa

Nach 320-Tagen Prozess: BGH hebt Urteil gegen Rebellenführer aus Ruanda auf

Wegen Rechtsfehlern muss ein Mammutverfahren gegen einen Ruander in Stuttgart neu aufgerollt werden. Am Ende könnte ihn ein niedrigeres Strafmaß erwarten.

Der Prozess in Stuttgart dauerte viereinhalb Jahre und kostete rund fünf Millionen Euro - jetzt muss das Mammutverfahren gegen einen ruandischen Rebellenführer wegen Kriegsverbrechen im Ostkongo zum Teil neu aufgerollt werden. Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hob am Donnerstag den Schuldspruch gegen den Hauptangeklagten wegen Rechtsfehlern auf.

Damit muss ein anderer Senat des Oberlandesgerichts (OLG) Stuttgart seinen Fall neu verhandeln und entscheiden. Die Ergebnisse der außerordentlich aufwendigen Beweisaufnahme in der weit entfernten Weltregion haben aber größtenteils Bestand. (Az. 3 StR 236/17)

Der zweite in dem Verfahren angeklagte Ruander, den das OLG 2015 nach 320 Verhandlungstagen zu acht Jahren Haft verurteilt hatte, kommt nicht mehr vor Gericht. In seinem Fall verwarf der BGH die Revisionen von Verteidigung und Anklage. Das Urteil ist damit rechtskräftig.

Beide Männer leben seit Jahrzehnten in Deutschland, fungierten aber aus der Ferne als Präsident und Erster Vizepräsident der FDLR („Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas“). Die als Terrorgruppe eingestuften Rebellen hatten 2009 im Osten des Kongos, der an Ruanda grenzt, mehrere Dörfer überfallen, Häuser in Brand gesteckt und mehr als 170 Männer, Frauen und Kinder niedergemetzelt. Mit diesen „Bestrafungsaktionen“ wollten die Milizionäre die kongolesische Zivilbevölkerung von der Kooperation mit ihren Gegnern abschrecken.

Zentrale Frage ist, inwieweit die Führungsspitze in Deutschland dafür verantwortlich gemacht werden kann. Die Anklage in dem Fall war die erste nach dem 2002 eingeführten Völkerstrafgesetzbuch, das deutschen Ermittlern die Verfolgung von Kriegsverbrechen im Ausland ermöglicht.

Um die Vorgänge aufklären zu können, ließ das OLG Zeugen aus Afrika einfliegen und versuchte, traumatisierte Opfer per Videoschalte zu befragen. Bei der Urteilsverkündung 2015 sprach der Vorsitzende Richter von einer „Herkulesaufgabe“ und sagte: „So geht es nicht.“

Gericht muss sich erneut mit Gräueltaten befassen

Nun muss sich das Gericht erneut mit den Gräueltaten befassen. An der Verurteilung beider Männer als Rädelsführer einer Terrorvereinigung gibt es zwar keine Zweifel. Den 1963 geborenen Hauptangeklagten hatte das OLG aber auch wegen Beihilfe zu vier Kriegsverbrechen zu 13 Jahren Haft verurteilt. Dafür liefert das Urteil nach Auffassung der obersten Strafrichter des BGH allerdings nicht ausreichend Belege. Dem Mann konnte nur nachgewiesen werden, dass er der Miliz das Telefonieren über Satellit ermöglicht und als FDLR-Repräsentant die Verbrechen geleugnet oder kleingeredet hatte. Für den BGH steht nicht fest, dass er die Taten damit „objektiv förderte oder erleichterte“.

Seine Verteidigerin Ricarda Lang äußerte sich erfreut über das Urteil. Sie gehe davon aus, dass in einer neuen Runde eine niedrigere Strafe herauskommen werde, sagte sie in Karlsruhe. Lang forderte deshalb, ihren schon 2009 festgenommenen Mandanten aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Sein früherer Vize hatte nach dem Urteil 2015 den Gerichtssaal als freier Mann verlassen können.

Bundesanwalt Christian Ritscher zeigte sich hingegen zuversichtlich, dass die Defizite in dem Stuttgarter Urteil behoben werden können. Ein Erfolg für ihn ist, dass das OLG die Gräueltaten auf seine Revision hin nicht nur als Kriegsverbrechen, sondern auch als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bewerten muss. Die „Bestrafungsaktionen“ seien systematische Angriffe gegen die Zivilbevölkerung gewesen, sagte der Senatsvorsitzende Jan Gericke.

Mit Rügen angeblicher Verfahrensfehler hatte die Verteidigung keinen Erfolg. Es gebe deshalb die Überlegung, gegen die bereits rechtskräftigen Teile des Urteils Verfassungsbeschwerde einzulegen, sagte Lang. Aufgrund der großen Entfernung sei es unmöglich gewesen, selbst Ermittlungen anzustellen oder eigene Zeugen zu benennen. „Damit hat der Angeklagte keine Chance auf ein faires Verfahren.“ (dpa)

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