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Spazieren gehen ist derzeit für viele Menschen in Deutschland eine der wenigen Möglichkeiten abzuschalten.

© Kira Hofmann/dpa-Zentralbild/dpa

Seit Monaten kein verlässliches Ziel: Nach dem Corona-Gipfel herrscht weiter Perspektivlosigkeit

Die Politik des Auf-Sicht-Fahrens lässt immer mehr Menschen verzweifeln. Es braucht dringend ein Gremium, um die Probleme der Bürger zu verstehen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Felix Hackenbruch

Jeder kennt das Gefühl nach der Urlaubsbuchung. Selbst wenn die Reise noch Monate entfernt ist, sind die Gedanken, gerade in schlechten Momenten, bereits an einem einsamen Strand oder auf einem Berggipfel. Vorfreude ist nicht nur sprichwörtlich die größte Freude, sondern auch die wichtigste Kraft in schweren Zeiten. Doch was, wenn Perspektive und Hoffnung abhandenkommen? Wenn man sich auf keinen Urlaub, keine Geburtstagsfeier, keinen Theaterbesuch freuen kann?

Seit Monaten befindet sich Deutschland im Zustand der Perspektivlosigkeit. Erst musste der November dran glauben, dann fiel für viele Weihnachten aus, selbst Osterbesuche scheinen noch unsicher. Mit der Perspektive schwindet auch die Kraft, die es in dieser Pandemie bräuchte. Die Mutationen, die das Virus gefährlicher und ansteckender gemacht haben, erschweren konkrete Aussagen über die Dauer des Ausnahmezustands.

Doch mehr als nach einem Datum sehnen sich die Deutschen nach einem verlässlichen Ziel. Die Kanzlerin und die MinisterpräsidentInnen haben nun ein neues Ziel genannt, eine Inzidenz von 35 oder weniger. Es bleibt ein bewegliches Ziel.

Es ist die Politik des Auf-Sicht-Fahrens, die immer mehr Menschen und auch die Wirtschaft verzweifeln lässt. WissenschaftlerInnen können das belegen. Die Cosmo-Studie der Uni Erfurt beispielsweise zeigt: 79 Prozent der 1001 Befragten sprechen sich für langfristige Lösungen aus, 60 Prozent wünschen sich einen Stufenplan.

Die AutorInnen der Studie sehen Chancen in einem Strategiewechsel, bei dem Lockerungen und Verschärfungen an Fallzahlen und gegebenenfalls weiteren Indikatoren hängen. So könnten vor allem junge Menschen unter 30, die besonders unter der aktuellen Situation leiden, neu motiviert werden und das zuletzt gesunkene Vertrauen in die Maßnahmen der Regierung wieder steigen.

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[Mehr zum Thema: Lesen Sie hier die Beschlüsse des Corona-Gipfels im Überblick.]

Zum ersten Mal nach mehr als 100 Tagen Lockdown gibt es nach dem Corona-Gipfel der Kanzlerin und der Länderchefs am Mittwoch eine zaghafte Öffnungsperspektive, ein bisschen Hoffnung. Grundschulen und Kitas sollen in Berlin ab dem 22. Februar öffnen, Friseure ab Anfang März. Und wo die Sieben-Tage-Inzidenzen unter 35 fallen, sind weitere Lockerungen möglich. Eine Strategie mit langfristigen Lösungen ist das aber noch nicht. Es braucht weitergehende Perspektiven.

Es braucht ein dauerhaftes Corona-Gremium

PolitikerInnen sind notgedrungen seit Monaten von ihren WählerInnen entkoppelt, persönliche Treffen, um die Stimmung zu erspüren, sind kaum möglich. Umso wichtiger wäre es, auf die Wissenschaft zu hören. Es verwundert, dass es auch ein Jahr nach Pandemiebeginn kein Gremium gibt, das die Regierung dauerhaft berät. Warum gibt es in der „größten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg“ (Angela Merkel) keinen Pandemie-Rat?

[Hinter den Kulissen des Corona-Gipfels :Wie beim Kuhhandel – Lesen Sie hier, wie die Beschlüsse zustande kamen (T+).]

Vorschläge für die Corona-Strategie werden im Wesentlichen von den Chefs der Staatskanzleien und dem Chef des Kanzleramts entwickelt – jeder zieht dabei seine Hauswissenschaftler zurate. Sinnvoller wäre eine übergeordnete Institution, in der WissenschaftlerInnen aus verschiedenen Disziplinen nach langfristigen Lösungen suchen, damit sich die Fehler aus dem vergangenen Sommer nicht wiederholen.

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Als es versäumt wurde, Alten- und Pflegeheime zu schützen. Als es versäumt wurde, FFP2-Masken  zu besorgen. Als es versäumt wurde, Schnelltests für den Eigenbedarf zu fördern. Als es versäumt wurde, die Gesundheitsämter aufzurüsten. Als es versäumt wurde, Schulen mit Luftfiltern  auszustatten.

Die Pandemie legt Probleme in allen Teilen der Gesellschaft offen. Daher sollten nicht nur VirologInnen gehört werden, sondern auch VertreterInnen der Psychologie, Gesundheitsökonomie, Soziologe und Kommunikation. Und vielleicht ist ja sogar eine Tourismus-ExpertIn dabei, die sich überlegt, wie ein Anstieg der Infektionen durch Reiserückkehrer verhindert werden kann. Dann kann vielleicht bald wieder eine Reise gebucht werden – und damit ein Stück Vorfreude.

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