
© dpa/Karl-Josef Hildenbrand
Nach monatelangem Streit: Koalition beschließt offenbar Eckpunkte für neues Wehrdienstgesetz
Monatelang wurde gerungen, nun soll ein Kompromiss erreicht worden sein. Die Bundeswehr soll demnach 2027 einen kompletten Jahrgang mustern. Doch eine entscheidende Frage bleibt ungeklärt.
Stand:
Die Koalitionsexperten und Verteidigungsminister Boris Pistorius haben sich Regierungs- und Parlamentskreisen zufolge auf Eckpunkte des umstrittenen Wehrdienstgesetzes verständigt. Am Mittwochabend sollen sie nach einer letzten Verhandlungsrunde von den Fraktionsspitzen gebilligt werden.
Auch die Fraktionen selbst sollen noch vor dem Koalitionsausschuss am Donnerstagabend eingebunden werden. Nachdem ein erster Versuch einer Einigung im Oktober im Eklat gescheitert war, soll der Weg für einen Bundestagsbeschluss im Dezember frei werden.
Das neue Modell für die Rekrutierung von Soldaten sieht nach Reuters-Informationen nun folgende Punkte vor:
- Wie im bereits vom Kabinett gebilligten Gesetzentwurf von Pistorius vorgesehen, sollen Anfang 2026 in einem ersten Schritt alle 18-Jährigen mit einem Fragebogen angeschrieben werden. Dabei wird auch gefragt, ob sie mindestens sechs Monate dienen wollen. Männer müssen ihn beantworten, Frauen können. Der Fragebogen dient bereits als Teil der Musterung. Im ersten Jahr sollen um die 20.000 Freiwillige aus einem Jahrgang gewonnen werden.
- Ab Mitte 2027 soll ein kompletter Jahrgang mit etwa 300.000 Männern vollständig gemustert werden, um einen Überblick über Wehrfähige zu gewinnen. Dies war Pistorius besonders wichtig. Aber auch die Expertengruppe aus Union und SPD hatte hier keine Einwände, wenn die Bundeswehr dies organisatorisch umsetzen kann.
Losverfahren für Musterung ist vom Tisch
Der Streit zwischen den vier Experten aus Union und SPD sowie dem Minister und Teilen der SPD-Fraktion drehte sich um den Fall, dass sich nicht genügend Freiwillige finden. Die Arbeitsgruppe hatte vorgeschlagen, erst eine größere Gruppe zur Musterung auszulosen und dann zu versuchen, diese für den freiwilligen Dienst anzuwerben.
Diese Option ist vom Tisch, da die Bundeswehr ohnehin ab 2027 einen Jahrgang komplett mustern will. Es bleibt die Frage, wie man fehlende Rekruten gerecht auswählt, um auf die Sollzahlen zu kommen. Einen kompletten Jahrgang kann die Bundeswehr auf Jahre hinaus weder ausbilden noch unterbringen.
Daher kann den Eckpunkten zufolge bei einer sogenannten „Bedarfswehrpflicht“ das Zufallsprinzip oder Losverfahren weiter eine Rolle spielen. In das Wehrdienstgesetz soll hier aber nur eine vergleichsweise allgemeine Formel wie faires oder gerechtes Auswahlverfahren geschrieben werden. Die Details würden dann in einem zweiten Gesetz verankert.
Das zweite Gesetz muss erst in dem Fall beschlossen werden, wenn Freiwillige fehlen. Zuvor muss auch die Regierung den Mangel feststellen. Diese Hürde vor dem Zwang stand bereits in Pistorius’ Ursprungsgesetz und ist vor allem für die SPD wichtig. Vor allem die Union hatte aber von Pistorius verlangt, dass er aufgeschlüsselte Zahlen etwa mit nötigen Qualifikationen für den Personalbedarf liefern muss. Nur eine Gesamtzahl pro Jahr reiche nicht. Erst dann könne man den Mangel genauer ablesen und die Zwangseinberufung einleiten.
Das Ministerium wiederum will aus Sicherheitsgründen keine zu detaillierten Angaben. Zudem könnte schon ein knappes Verfehlen einer Größe die Forderung nach einer Zwangseinziehung auslösen.
Als Kompromiss soll es nun Korridore mit einer Spanne für die nötige Zahl an Wehrdienstleistenden in bestimmten Zeiträumen geben. Zudem will das Ministerium sie in einige wenige Kategorien aufteilen: etwa solche, die sechs Monate dienen und nur Wach- und Begleitschutz leisten können und als Mannschaften vor allem die Reserve stärken. Oder auch solche, die länger in der Armee gehalten werden können und beispielsweise als Unteroffiziere für den sofort kampffähigen Teil der Truppe infragekommen.
Im Gesetzentwurf war ursprünglich vorgesehen, dass alle Freiwilligen als „Soldaten auf Zeit“ (SaZ) eingestuft und entsprechend gut bezahlt werden. Allerdings können Soldaten mit diesem Status etwa für Auslandseinsätze herangezogen werden. Auch bei Verpflegung und Unterkunft gibt es Sonderregelungen. Daher wird diese Idee wieder verworfen. An der Bezahlung und anderen Vergünstigungen soll sich aber nichts ändern.
SPD fürchtet Dauerdebatte
Detailfragen sind noch offen: Wie offen können die Zahlen neuer Soldaten vor dem Hintergrund der Spannungen mit Russland genannt werden? Zudem muss der geplante Aufwuchs der Truppe im Zusammenhang mit dem Ausscheiden von Soldaten gesehen werden. In der überalterten Bundeswehr werden in bestimmten Zeiträumen besonders viele ausscheiden, was aber schwer präzise vorherzusagen ist.
Zudem kann es sein, dass in einem Halbjahr etwa wegen Ausbildungs- oder Schulende mehr Freiwillige gewonnen werden, während es im nächsten Zeitraum dann entsprechend weniger sind. Löst dies dann einen Zwang zur Rekrutierung aus? Vor allem in der SPD fürchtet man daher eine Dauerdebatte über eine mögliche Pflicht.
Ziel des Wehrdienstgesetzes ist eine Aufstockung der Bundeswehr bis 2035 auf 460.000 Soldaten, davon etwa 200.000 Reservisten. Derzeit hat die Armee rund 183.000 aktive Soldaten und knapp 100.000 Reservisten. (Reuters)
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