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In den Straßen von Athen halten die Proteste gegen die Sparmaßnahmen an.

© imago/Xinhua

Griechenland und die Gläubiger: Nächster Akt in Athen

Die Griechen sind wieder auf der Straße – ihnen drohen noch mehr Einschnitte. Das Parlament muss die Gesetze absegnen. Ob das gelingt, ist mehr als unklar.

Ein halbes Dutzend unsichere Kantonisten zählt Alexis Tsipras in seinem Lager: Genug, um die Regierung in Griechenland bei der Abstimmung über die neuen Sparmaßnahmen Sonntagnacht zum Sturz zu bringen. Doch der linke Premier redete seinen Genossen noch einmal ins Gewissen. „Wir haben hart gekämpft“, versicherte er den Parlamentariern seines Marxisten- und Reformkommunistenbündnisses Syriza. „Wir haben die Stimmen ignoriert, die nach Kapitulation und Untergang riefen.“ Rentenkürzungen und Steuererhöhungen sind sozial ausgewogen, sollte das heißen.

Ein Blick aus dem Fenster hätte ihm anderes gezeigt. Auf dem Syntagmaplatz im Athener Zentrum wechseln sich seit Freitag Protestzüge der Gewerkschaften ab. Der öffentliche Dienst streikt wieder. Züge und U-Bahnen stehen still, die Fähren auf der Ägäis haben zum Großteil ihren Dienst eingestellt. Die Zeitungskiosks sind leer, denn auch der Großteil der Journalisten hat die Arbeit niedergelegt. Die Bauern haben sich von der Regierung ohnehin nur zu einem Stillhalteabkommen breitschlagen lassen. Durch alle Berufslager zieht sich der Widerstand gegen den einheitlichen Satz von 20 Prozent für die Rentenkasse. Warum plötzlich alle gleich behandelt werden sollen, leuchtet vielen Griechen nicht ein. Jahrzehnte hindurch hatten sie es sich in ihren Berufsnischen eingerichtet.

Über die neuen Sätze für die Einkommenssteuer und die Reform der Rentenversicherung wird das Parlament am Sonntag gegen Mitternacht nach zweitägiger Debatte entscheiden. Die Regierung hatte die wohl schwierigste Abstimmung seit ihrer Unterschrift unter den Rettungskredit vom Sommer 2015 vorgezogen. Nur noch drei Stimmen Mehrheit hat die Koalition von Syriza und der kleinen rechtspopulistischen Partei Anel. Doch Finanzminister Euklid Tsakalotos soll am Montag mit einem klaren Ergebnis in der Hand zur Sitzung der Euro-Gruppe fahren.

Mitsotakis wirkt seriöser auf die Griechen

Noch kurz vor der Parlamentsdebatte am Samstagvormittag hatten die Abgeordneten allerdings keine endgültige Fassung der Gesetzestexte vorliegen. Weil die Verhandlungen mit den Kreditgebern immer noch nicht abgeschlossen waren, gab es etwa Unklarheiten über den künftigen Eingangssteuersatz bei der Einkommenssteuer. Ein besonders heikles Thema für die Linke, weil es um die Besteuerung von Geringverdienern geht. Unter dem Druck der Gläubiger hatte die Regierung den Sockel bereits von 9500 Euro Jahreseinkommen auf knapp 9100 Euro abgesenkt. Vor allem der Internationale Währungsfonds beharrt auf einer breiteren Steuerbasis in Griechenland und verlangt 8182 Euro Jahreseinkommen. Am Wochenende schien Finanzminister Tsakalotos bereit, nachzugeben. Das vergrößerte die Chancen auf eine Einigung am Montag, aber auch das Risiko einer Niederlage bei der Parlamentsabstimmung. Die weitere Absenkung der Einkommenssteuergrenze hatte die Regierung Tsipras zu einer ihrer „roten Linien“ erklärt.

Die Regierung hatte sich verpflichtet, bis 2018 einen Haushaltsüberschuss vor Abzug der Kreditzinsen von drei Prozent des BIP zu erwirtschaften. Dazu muss sie „Maßnahmen“ mit einem Volumen von 5,4 Milliarden Euro treffen. 1,8 Milliarden soll die Rentenreform bringen, ebenso viel die Erhöhung der Einkommenssteuer und die letzten 1,8 Milliarden verschiedene andere Abgaben- und Steuererhöhungen, darunter nochmals die Anhebung der Mehrwertsteuer von 23 auf 24 Prozent. Etwas mehr als die Hälfte dieses Sparvolumens hat Athen im Sommer und Herbst 2015 durchgesetzt. Der Primärüberschuss 2015 fiel deshalb unerwartet positiv mit 0,7 Prozent des BIP aus – immerhin mehr, als die Vorgängerregierung des konservativen Premiers Antonis Samaras 2014 zustande gebracht hatte. Offen ist, in welcher Form Athen Sparbeschlüsse „auf Vorrat“ in Höhe von 3,6 Milliarden Euro fassen soll, wie es der IWF verlangt, für den Fall, dass die Regierung ihr Sparziel 2018 verfehlt.

Tsakalotos wandte sich deutlich gegen ein zusätzliches Sparpaket „auf Vorrat“. Wie der griechische TV-Sender Skai unter Berufung auf die Nachrichtenagentur Market News International berichtete, hat Tsakalotos einen entsprechenden Brief an die Euro- Gruppe geschrieben. Darin heißt es demnach: „Können Sie sich vorstellen, dass wir dem Parlament ein Sparpaket in Höhe von neun Milliarden anstatt von 5,4 Milliarden Euro vorlegen?“ Es gebe keine Chance, solch ein Paket durchs Parlament zu bringen.

Ein Abschluss der Finanzverhandlungen ist Voraussetzung für die Auszahlung der nächsten Kreditraten. Geld hat der Staat zumindest noch bis Juli, wenn die nächsten 2,7 Milliarden Euro an Schuldenrückzahlungen anstehen. Doch seit Wochen liegt Syriza in den Umfragen sechs oder mehr Prozentpunkte hinter der konservativen Nea Dimokratia zurück. Ihr neuer Chef, Kyriakos Mitsotakis, wirkt auf die Griechen seriöser als Tsipras. Ein Teil der Linken würde Neuwahlen und die eigene absehbare Niederlage als Erlösung empfinden.

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