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Politik: Nicht nur für Christen

Auf dem Weg nach Europa: Warum Ankaras Premier Erdogan die Pläne der CDU-Chefin Merkel geradezu undiplomatisch ablehnt

Von Robert Birnbaum

Die Begleitmusik aus der Heimat war mal wieder laut und deutlich. Die Türkei, befand CSU-Landesgruppenchef Michael Glos, sei nie Teil Europas gewesen – geographisch nicht, politisch nicht, kulturell nicht. Und dabei soll es nach dem Willen des CSU-Mannes auch bleiben, weshalb er CDU-Chefin Angela Merkel dringlich anempfahl, bei ihrem Türkei-Besuch „reinen Wein einzuschenken“.

Es hätte dieser bajuwarischen Blasmusik nicht bedurft. Merkel hat bei ihrem ersten Besuch in Ankara zwar allen versichert, sie und ihre Delegation seien Freunde der Türkei. Aber sie ließ auch keinen Zweifel daran, dass sie nichts davon hält, wenn die EU der Türkei im Dezember Gespräche über einen EU-Beitritt anbietet. „Wir wollen nicht die Tür zumachen“, sagt Merkel nach einem Gespräch mit Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. Es bleibe aber dabei, dass die CDU „die Perspektive einer Vollmitgliedschaft kritisch sieht“.

Die Alternative, die die Union den Türken nahe bringen möchte, heißt „privilegierte Partnerschaft“. Was das genau bedeuten könnte, ist auch den dazu in der Union produzierten Papieren nur in Umrissen zu entnehmen: mehr Zusammenarbeit in Wirtschaft und Wissenschaft, volle sicherheitpolitische Einbindung, aber eben keine Mitsprache in und keine Freizügigkeit nach Europa. Erdogans Antwort fällt knapp und klar aus. „Das ist für uns kein Thema“, sagt der Premier, der für sich in Anspruch nimmt, viele Beitrittskriterien umgesetzt zu haben. Er verwahrt sich auch dagegen, dass die Türkei „in einem politischen Machtkampf missbraucht werden“ könnte. Europa sei kein Christenclub, auch keine bloße Kohle- und Stahlunion, sondern ein Werteverbund. Es müsse die neue Türkei, die seit der Machtübernahme von Erdogans AKP-Partei vor zwei Jahren entstanden sei, aufnehmen. „Ich bitte Frau Merkel, darüber nachzudenken“, sagt Erdogan.

Dieser geradezu undiplomatisch klare Gegenkurs hängt natürlich damit zusammen, dass die Union als Opposition wenig Einfluss auf den Gang der Dinge in der EU hat. Erdogans enger Berater Cüneyd Zapsu mag nicht ausschließen, dass man in ein paar Jahren über Sonderbeziehungen redet – wenn sich herausstellen sollte, dass die Beitrittsgespräche nicht von der Stelle kommen. Aber, fragt er: „Warum soll man jetzt schon den Teufel an die Wand malen?“

Tatsächlich setzt Erdogan erkennbar andere Zielmarken als die deutsche Opposition. Für Ankara ist der Weg das Ziel: „Die EU als Instrument“ zur Modernisierung des eigenen Landes, wie Zapsu es ausdrückt. Darum das Drängen, dass im Dezember Beitrittsverhandlungen vereinbart werden: Wenn die Europäer dies ablehnten, ja selbst bei einem Jein, werde die Enttäuschung in der Türkei groß sein und die Modernisierung gefährden. Als Musterbeispiel für die segensreiche Wirkung der EU-Perspektive gilt Zypern. Erst die Aussicht auf Aufnahme in die Gemeinschaft hat die festgefahrenen Gespräche zur Wiedervereinigung der Insel wieder in Gang gebracht.

Merkels Argument, die EU könne nach der Osterweiterung nicht ein weiteres ökonomisch und politisch schwieriges Land von der Größe der Türkei verkraften, findet der Erdogan-Berater „total irrational“. Wenn die EU in vielen Jahren die Aufnahme nicht bewältigen könne, schaffe sie es eben nicht – aber das wisse man doch jetzt noch nicht.

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