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Die Wehrbeauftragte Eva Högl bei einem der Truppenbesuche ihrer fünfjährigen Amtszeit, die im Mai endet

© dpa/Sina Schuldt

„Nicht überall sichtbar, spürbar oder messbar“: Wehrbeauftragte zieht ernüchternde Bilanz nach drei Jahren Zeitenwende

Mit dem sich andeutenden Rückzug der USA aus Europa muss alles noch schneller gehen mit der Aufrüstung der Bundeswehr. Der neue Wehrbericht beschreibt die schwierige Ausgangslage.

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Mitten hinein in den Berliner Politkrimi um die Finanzierung milliardenschwerer Verteidigungsausgaben ist an diesem Dienstag der neue Wehrbericht erschienen. In diesem Jahr kommt der Bestandsaufnahme der Wehrbeauftragten Eva Högl besondere Bedeutung zu: Gut drei Jahre nach Russlands Vollinvasion der Ukraine und dem Ausrufen der „Zeitenwende“ für die Bundeswehr muss sie nun noch schneller aufrüsten, da Donald Trumps Amerika mit Europa zu brechen scheint.

Wo steht die Truppe zu diesem kritischen Zeitpunkt? Ist das Reformtempo schon so hoch, dass die Einsatzbereitschaft tatsächlich relativ schnell hergestellt werden kann, wenn nun das notwendige Geld dafür bereitgestellt wird? Nach Lektüre des Berichts ist große Skepsis angesagt. „Die Bundeswehr ist ein Tanker, kein Schnellboot. Und es braucht Zeit, bis ein Tanker vollständig saniert ist und den Kurs gewechselt hat“, schreibt Högl, um hinzuzufügen: „Zeit, die wir nicht haben.“

Der Reformeifer fruchtet nur sehr langsam

Wohl registriert sie die Bemühungen ihres SPD-Parteifreunds Boris Pistorius als Verteidigungsminister: den Rekord von 97 Beschaffungsvorlagen, die vergangenes Jahr dem Haushaltsausschuss des Bundestags vorgelegt wurden; die 64 schnell umgesetzten Ideen einer Taskforce, um mehr Personal zu gewinnen, etwa durch Werbung vor Ort am Bundeswehrstandort; die Strukturreform der Truppe oder die Gespräche mit den Bundesländern, um Bauvorhaben zu beschleunigen.

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„Diese Anstrengungen waren enorm“, resümiert Högl, „die Ergebnisse jedoch (noch) nicht überall sichtbar, spürbar oder messbar.“ Das ist zwar besser als vor Jahresfrist, als die Sozialdemokratin die Fortschritte „eher punktuell statt flächendeckend“ nannte, aber ihrer Ansicht nach bei Weitem noch nicht genug, um vollständig einsatzbereit zu sein: „Die personelle, materielle und infrastrukturelle Ausstattung der Bundeswehr muss schnell besser werden.“

Vollzug kann die Truppe nur bei der Ausrüstung der Soldatinnen und Soldaten vermelden. Sie schrieben Högl nicht mehr, weil Kälte- und Nässekleidung oder Schutzwesten fehlten: „Nach wie vor mangelt es jedoch an funktionstüchtigem Großgerät und Ersatzteilen, was zum Teil auch aus der so wichtigen Abgabe von Material an die Ukraine resultiert.“ Der Wiederbeschaffungswert summiert sich seit Anfang 2022 auf 5,2 Milliarden Euro – und davon ist längst nicht alles neu bestellt.

20
Prozent der Posten bei den oberen Dienstgraden sind unbesetzt.

Weder das „Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz“ von 2022 noch der „Beschleunigungserlass“ aus dem April 2023 haben dem Bericht zufolge zu einer grundsätzlichen Verbesserung der Lage geführt. Zwar gebe es inzwischen etwas größere Ermessensspielräume, die Zahl der Vorschriften sei aber weiter so groß, „dass viele Einheiten in der Hinsicht frustriert oder überfordert sind“. Daher plant auch die mögliche schwarz-rote Regierung einen neuen Anlauf für mehr Tempo.

Die Streitkräfte laufen daher Gefahr, dass die personelle Einsatzbereitschaft und die Auftragserfüllung erheblich leiden.

Eva Högl, Wehrbeauftragte, zur Personalsituation

Noch größer ist der Frust bei Högl in Bezug auf die Personallage, für sie „der Schlüssel zur Verteidigungsfähigkeit“. Statt sich der Zielgröße von 203.000 zu nähern, die der nächste Nato-Gipfel noch erhöhen dürfte, ist die Bundeswehr 2024 erneut geschrumpft. 20.290 Neueinstellungen kommen zwar einem Plus von acht Prozent gleich. Unter dem Strich ist die Personalstärke jedoch um 340 gesunken auf 181.174 Soldatinnen und Soldaten.

Der Bericht enthält mehrere Zahlen dazu, wie sich die Personalknappheit auswirkt. So beträgt das Durchschnittsalter der Truppe 34 Jahre, 2019 lag es noch bei 32,4 Jahren. Bei den oberen Dienstgraden sind 20 Prozent der Posten unbesetzt, bei den Mannschaften sogar 28. „Die Streitkräfte laufen daher Gefahr“, heißt es, „dass die personelle Einsatzbereitschaft und die Auftragserfüllung erheblich leiden.“

Weiterhin unbesetzte Posten, weiterhin desaströse Kasernen

Das liegt auch daran, dass es weiter nicht gelingt, nennenswert mehr Frauen für die Bundeswehr zu interessieren. Ihr Anteil stagniert bei 13 Prozent, 20 Prozent sind seit Längerem angepeilt.

Konkret fehlen etwa 390 Pilotinnen und Piloten. Bei der Marine, die mehr Präsenz in Nord- und Ostsee zeigen muss, gibt es für 3080 von 14.600 militärischen Dienstposten kein Personal. Wegen der übermäßigen Belastung spricht sich die Wehrbeauftragte für eine Entlastung an anderer Stelle aus: „Denkverbote über die Beendigung der Beteiligung an einzelnen Missionen, beispielsweise der Nato-Unterstützungsmission in der Ägäis, darf es deshalb keine geben.“

67
Milliarden Euro beträgt allein der Investitionsbedarf in die Infrastruktur der Bundeswehr.

Um die Personalsituation der Truppe wie der ebenfalls unterbesetzten Reserve zu verbessern, führt aus Högls Sicht kein Weg an einer wie auch immer gearteten Verpflichtung junger Menschen vorbei, aufbauend auf Pistorius’ Gesetzentwurf, der wegen der vorzeitigen Neuwahlen nicht mehr im Bundestag verabschiedetet wurde: „In naher Zukunft wird es irgendeine Form von neuem Wehrdienst geben.“

Attraktive Arbeits- und Unterbringungsbedingungen finden Rekrutinnen und Rekruten bisher längst nicht überall vor. Nur ein Beispiel aus dem Bericht: Im rheinland-pfälzischen Germersheim, wo die „Neuen“ erstmals in Kontakt mit der Luftwaffe kommen, fand Högl „Schimmel in Stuben und Sanitärräumen, Wasserschäden sowie von den Wänden abblätternden Putz“. Die avisierte Fertigstellung von Ersatzgebäuden, deren Bau noch gar nicht begonnen hat, ist erst für die 2030er Jahre geplant.

Mit 1,6 Milliarden Euro wurden zwar 350 Millionen Euro mehr investiert als im Vorjahr, der Gesamtbedarf im Bereich Infrastruktur betrug Ende 2024 laut dem Bericht jedoch immer noch 67 Milliarden Euro. „Daher befinden sich Kasernen und Liegenschaften immer noch teilweise in einem desaströsen Zustand.“

Das wiederum ist einer der Gründe für die hohe Abbrecherquote, die Högl als „äußerst problematisch“ bezeichnet. Von 18.810 Soldatinnen und Soldaten, die 2023 neu zum Dienst antraten, widerriefen 4900 in der sechsmonatigen Probezeit ihre Verpflichtungserklärung. Wenn sich dies nicht entscheidend ändere, schlussfolgert die Wehrbeauftragte, „kann eine noch so erfolgreiche Personalgewinnung den Verlust nicht ausgleichen“.

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