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Organhandel: Schweden gibt im Streit mit Israel nicht nach

Nach dem Eklat um den Artikel über Organhandel bei toten Palästinensern, scheinen die diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und Schweden schwer belastet. Bei dem schwedischen Autor des Textes gingen inzwischen mehrere Morddrohungen ein.

Ein Streit über einen israelkritischen Artikel in der schwedischen Presse droht die diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern schwer zu belasten. Die schwedische Regierung hatte es am Freitag abgelehnt, sich für den Artikel über angeblichen Diebstahl von Organen toter Palästinenser zu entschuldigen und berief sich dabei auf die schwedische Presse- und Meinungsfreiheit. Als Reaktion erwäge Israel den geplanten Empfang des schwedischen Außenministers und derzeitigen EU-Ratspräsidenten Carl Bildt Ende August zu verschieben, berichteten die israelischen Medien.

In einer Erklärung verurteilte Israels ultrarechter Außenminister Avigdor Lieberman die schwedische Position. Es sei „bedauerlich“, dass Bildt nicht Vorwürfen entgegentrete, die alten „antisemitischen Gräuelmärchen“ ähnelten. „Dies erinnert uns an Schwedens Handlungsweise im Zweiten Weltkrieg – damals griff auch niemand ein“, schreibt er in einer Stellungnahme. Schweden hatte sich im Zweiten Weltkrieg neutral wohlwollend zum Dritten Reich verhalten. Der damalige König war ein offener Bewunderer Adolf Hitlers und das Land betrieb umfangreichen Handel mit Deutschland.

Israels Verteidigungsminister Ehud Barak lässt derzeit prüfen, ob die Justiz gegen den Autor des Artikels wegen Verleumdung vorgehen kann. Lieberman erwäge, dem Autor die Pressekarte zu entziehen und grundsätzlich nicht mehr mit schwedischen Medien zu reden, heißt es.

Bei dem Streit geht es um einen am vergangenen Montag im „Aftonbladet“ erschienenen Artikel. Der freie Journalist Donald Boström hatte darin unter der Überschrift „Die Organe unserer Söhne werden geplündert“ palästinensische Familien zitiert, die berichteten, die israelische Armee hätte seit 1992 systematisch Organe von toten Verwandten entnommen, um damit Krankenhäuser in Israel zu versorgen. Die sozialdemokratisch orientierte Boulevardzeitung ist mit Abstand die größte Schwedens. Wie andere Boulevardzeitungen auch, wird sie zwar für Faktenungenauigkeit kritisiert, gilt aber im Vergleich zu kontinentaleuropäischen oder britischen Tabloids als seriöser und anspruchsvoller.

„Der Organhandel ist ein großes Thema in den palästinensischen Gebieten“, sagt Autor Boström dem Tagesspiegel. „Ich habe mit über 20 Familien geredet. Von 133 gestorbenen Palästinensern nahm die israelische Armee in diesem Jahr 52 zur Obduktion mit, erst fünf Tage später wurden sie mit zusammengenähten Oberkörpern und oft unter Fernhalten der Familien begraben“, sagt Boström weiter. Die Angehörigen hätten nicht die Möglichkeit gehabt zu kontrollieren, ob die Organe noch da waren, und hätten große Sorge, dass ihre verstorbenen Familienmitglieder „geschändet“ worden seien.

Die über den Artikel zutiefst empörte israelische Regierung unterstrich, dass der schwedische Journalist keinerlei Beweise für die Richtigkeit seiner Behauptungen anführe. Auch Boström selbst gab im Gespräch mit dem Tagesspiegel zu, keine Belege für die Richtigkeit der Behauptungen seiner Interviewpartner zu haben. Der in Schweden bekannte 55-jährige Journalist, der als Reporter für schwedische Zeitungen weltweit im Einsatz war und inzwischen wegen mehrerer anonymer Morddrohungen Anzeige bei der Polizei erstattetet hat, gab im Gespräch zu, dass niemand wisse, ob die Vorwürfe in seinem Artikel wahr oder falsch seien. „Aber ein Faktum ist, dass es dort ein großes Thema ist. Mein Ziel ist es deshalb vor allem gewesen, mit meinem Beitrag eine Untersuchung und Klärung der Sachlage anzustoßen“, sagt er. Vor den Morddrohungen habe er keine Angst. Aber das sei natürlich unbehaglich und erinnere in gewisser Weise an die Reaktionen auf die Mohammed-Karikaturen in Dänemark. 2006 hatten Abbildungen des Propheten Mohammed in einer dänischen Zeitung zu Ausschreitungen in der muslimischen Welt und Morddrohungen gegen die Zeichner geführt.

In Schweden stehen alle politischen Parteien und die Öffentlichkeit hinter dem Journalisten. Der als israelkritisch bekannte Carl Bildt gab Israels Forderung nach einer Entschuldigung für den Artikel eine klare Absage. „Wenn ich damit beginnen sollte, alle merkwürdigen Kommentare in den verschiedenen Medien zu korrigieren, dann hätte ich keine Zeit mehr, etwas anderes zu tun“, antwortete er. Auch wenn er Verständnis für die verletzten Gefühle vieler Israelis habe, gehe die Presse- und Meinungsfreiheit in Schweden vor. „So läuft es in unserem Land nicht und soll es auch nicht laufen", schrieb er in seinem Internet-Blog. Auch hat Bildt den Alleingang seiner Botschafterin Elisabet Bonnier gerügt. Nach den ersten prompten Protesten in Israel, hatte sie sich, ohne Absprache mit Stockholm, auf der Botschaftshomepage zunächst einmal von dem umstrittenen Artikel distanziert.

André Anwar[Stockholm]

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