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Politik: Pamuk sieht Mentalität des Lynchens

Istanbul - Etyen Mahcupyan hat seit Montag einen der gefährlichsten Jobs in der Türkei. Der armenisch-türkische Journalist ist Nachfolger des am Freitag erschossenen Hrant Dink als Chef der Wochenzeitung „Agos“.

Istanbul - Etyen Mahcupyan hat seit Montag einen der gefährlichsten Jobs in der Türkei. Der armenisch-türkische Journalist ist Nachfolger des am Freitag erschossenen Hrant Dink als Chef der Wochenzeitung „Agos“. Damit könnte auch Mahcupyan bald zur Zielscheibe militanter Nationalisten werden. Er weiß, was auf ihn zukommt. In seiner Kolumne in der islamistischen Qualitätszeitung „Zaman“ schrieb Mahcupyan am Montag, die größte Herausforderung für die Türken sei es, einen „Selbstmord der Gesellschaft“ zu verhindern und ein Klima zu schaffen, in dem sich jeder wieder als Mensch fühlen könne. Derzeit ist davon noch nichts zu erkennen.

Am Wochenende sprühten Unbekannte die Parole „Armenier verrecke“ an die Wand einer armenischen Kirche in Istanbul. Auch der Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk prangerte bei einem Beileidsbesuch bei Dinks Familie die Lynchmentalität im Land an. Dink sei zum Staatsfeind erklärt worden. Wie viele andere Intellektuelle in der Türkei forderte Pamuk die Abschaffung des berüchtigten „Türkentum“-Paragrafen 301. Jene, die den Paragrafen beibehalten wollten, trügen eine erhebliche Mitschuld an dem Tod von Dink. Der Paragraf stellt die „Beleidigung des Türkentums“ unter Strafe und diente nationalistischen Anwälten, Staatsanwälten und Richtern als Instrument, Dink, Pamuk und anderen Intellektuellen den Prozess zu machen. Von einer Abschaffung des Paragrafen ist bei der Regierung aber keine Rede. Unterdessen leitete die türkische Justiz einen neuen Prozess auf seiner Grundlage ein. Betroffen ist die linksgerichtete Zeitung, „Evrensel“, die die türkischen Streitkräfte beleidigt haben soll. Der Prozess soll am Mittwoch beginnen, einen Tag nach der Beisetzung von Dink. Weder Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan noch Staatspräsident Ahmet Necdet Sezer wollen an der Trauerfeier teilnehmen, Ankara entsendet nur einige Minister. Immerhin lud die Türkei Vertreter der armenischen Kirche, der armenischen Regierung und der armenischen Diaspora nach Istanbul ein. Einige Politiker aus der EU, etwa Grünen-Chefin Claudia Roth, haben sich angesagt.

Die Befragung des mutmaßlichen Mörders Ogün Samast in Istanbul lief weiter. Eine Verbindung des 16-Jährigen zu einer rechtsradikalen Organisation habe nicht ermittelt werden können, teilten die Behörden mit. Samasts Mutter Havva Samast sagte, ihr Sohn sei von anderen Tätern benutzt worden.

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