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Türkei: Papst-Attentäter verkündet Weltuntergang

Kaum in Freiheit musste Papst-Attentäter Mehmet Ali Agca zur Musterung. Doch der 52-Jährige wurde als untauglich eingestuft. Nun will er mit seinen Memoiren Millionen verdienen - und präsentiert sich als Messias.

Mehmet Ali Agca reckte die Faust. Als der Papstattentäter am Montagmorgen nach fast 30 Jahren hinter Gittern die türkische Haftanstalt Sincan bei Ankara verließ, grüßte er die vor dem Gefängnistor wartenden Journalisten mit diesem Zeichen der Entschlossenheit. Für mehr reichte die Zeit nicht, denn Agca saß auf dem Rücksitz eines Wagens der türkischen Polizei, der ihn zur Musterung für den Wehrdienst bei der türkischen Armee brachte. Nach einer vierstündigen Untersuchung stand fest: Die Armee will Agca nicht. Nun kann Agca daran gehen, seinen seit Wochen angekündigten Plan in die Tat umzusetzen - er will mit seinen Memoiren Millionen verdienen.

Jeder türkische Mann, der körperlich und geistig einigermaßen dazu in der Lage ist, muss zum Wehrdienst. Ausnahmen gibt es nur aus medizinischen Gründen, nicht aus Gewissensgründen. Genau auf diese zog sich Agca, der schon in der Vergangenheit mit bizarren Äußerungen auf sich aufmerksam gemacht hat, aber zurück. Ausgerechnet jener Mann, der 1979 als rechtsextremer Killer in der Türkei einen Journalisten erschoss und der 1981 in Rom den Papst mit mehreren Schüssen schwer verletzte, ließ über seinen Anwalt erklären, der Waffendienst sei unvereinbar mit seinen „religiösen und philosophischen Überzeugungen“.

Doch Agcas Sorgen waren unbegründet. Schon im Jahr 2006 hatten Militärärzte ihm eine „fortgeschrittene anti-soziale Persönlichkeitsstörung“ und damit die Dienstunfähigkeit bescheinigt. Die Untersuchung vom Montag kam zum selben Ergebnis. Wohl nicht ganz zufällig nährte der Papstattentäter die Zweifel an seiner Zurechnungsfähigkeit während seiner Tauglichkeitsuntersuchung im Militärkrankenhaus GATA in Ankara weiter. In einer von seinen Anwälten verteilten handschriftlichen Erklärung verkündete Agca, er sei der Messias und werde ein „perfektes Evangelium“ schreiben. Zugleich ließ er die Menschheit wissen, dass das Ende der Welt bevorstehe, und zwar irgendwann im Laufe dieses Jahrhunderts.

Ebenso merkwürdig wie Agcas Äußerungen war das Verhalten seiner Anwälte, die sich öffentlich bekriegten. Möglicherweise ging es bei den Meinungsverschiedenheiten ums Geld: Einer der Anwälte, Haci Ali Özhan, hatte vergangene Woche von mehr als 50 Angeboten für Filme und Bücher gesprochen, die sein Mandant aus aller Welt erhalten habe. Auch Offerten aus Hollywood sollen darunter sein. Özhan präsentierte sich selbst als Rechtsbeistand bei Agcas potentieller neuen Karriere, eine Aussage, die anderen offenbar nicht schmeckte. Agcas Bruder Adnan erklärte am Montag, er habe Özhan entlassen.

Agca soll mehrere Millionen Dollar für seine Memoiren gefordert haben. Die Lebensgeschichte des Papstattentäters ist nach Angaben aus Branchenkreisen viel Geld wert, wenn Agca darin enthüllen sollte, warum und in wessen Auftrag er im Mai 1981 auf den Papst schoss. Der Verdacht, dass osteuropäische Geheimdienste das Attentat anordnen, hat sich bis heute nicht mit letzter Sicherheit erhärten lassen.

Vor der Presse äußerte sich Agca nach seiner Freilassung am Montag nicht. Nach der Musterung in der GATA-Klinik fuhr er in ein Ankaraner Luxushotel; nach Angaben eines seiner Anwälte will er einige Tage lang in der türkischen Hauptstadt bleiben. Möglicherweise will er nur noch gegen Geld reden.

In der türkischen Öffentlichkeit wird unterdessen Kritik am Promi-Status des verurteilten Verbrechers laut. In einigen Wochen werde die Türkei des von Agca am 1. Februar 1979 getöteten Abdi Ipekci gedenken, „zugleich aber die Memoiren seines Mörders lesen, der im Luxushotel lebt“, kommentierte die Zeitung „Milliyet“, deren Chefredakteur Ipekci war.

Ähnlich wie das Attentat auf den Papst ist auch der Ipekci-Mord bis heute nicht restlos aufgeklärt. Ende der siebziger Jahre tobte auf den Straßen der Türkei ein Bürgerkrieg zwischen Linken und Rechten wie Agca, wobei die Rechten von den Sicherheitskräften unterstützt wurden. Der damaliger Istanber Polizeichef Hayri Kozakcioglu sagte dem türkischen Nachrichtensender NTV am Montag, Agca sei kein Einzeltäter gewesen, sondern habe eine Organisation hinter sich gehabt, die ihm auch die Flucht aus dem Gefängnis ermöglicht habe. Einige Hintermänner sind offenbar heute immer noch in Amt und Würden. Es gebe im Zusammenhang mit dem Mord an Ipekci immer noch Informationen , „über die wir nicht sprechen können“, sagte der Ex-Polizeichef.

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