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Immer neue Vorschriften schafften neue Probleme, schreiben die Forscher.

© Christoph Schmidt/dpa

Update

Studie zu Migranten am Arbeitsmarkt: Politik macht Flüchtlingen das Arbeiten schwer

Flüchtlinge finden inzwischen schneller Jobs. „Symbolpolitik und unpraktikable Kompromisse“ seien aber große Hindernisse, sagt das Berlin-Institut.

Weil die Migrationspolitik widersprüchliche Ziele verfolgt, wird es Geflüchteten schwer gemacht, zu arbeiten, dauerhafte Arbeit zu finden oder eine Ausbildung abzuschließen. Dies ist das Ergebnis einer Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. Hinzu käme, so die Studie, ein bürokratischer Dschungel, in dem sich nicht nur die Flüchtlinge, sondern auch Ämter und Behörden verfingen.

All dies wiege schwerer als die Probleme, die die Neulinge mit nach Deutschland brächten, Sprachprobleme oder wenig Qualifikation, schreibt das Team der Studie "Von individuellen und institutionellen Hürden. Der lange Weg zur Arbeitsmarktintegration Geflüchteter", die am Dienstag in Berlin veröffentlicht wurde.

Die Autorinnen Tanja Kiziak, Frederick Sixtus und Reiner Klingholz nutzen Zahlen aus offiziellen Quellen, für deren Analyse haben sie auch die Ergebnisse von zwei Experten-Workshops ihres Instituts mit der Mercator-Stiftung und Interviews mit 26 Geflüchteten herangezogen. Das Diskussionspapier würdigt dabei, dass die Integration inzwischen schneller funktioniert als in früheren Zeiten starker Flüchtlingseinwanderung.

Bereits im Januar hatten das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung IAB, das Sozioökonomische Panel beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in einer gemeinsamen Untersuchung festgestellt, dass inzwischen mehr als ein Drittel derer, die zwischen 2013 und 2016 nach Deutschland flohen, Arbeit hatten, wobei 80 Prozent der Jobs sozialversicherungspflichtig waren.

Das Berlin-Institut bemängelt nun allerdings die Qualität der Jobs: Es zeige sich, dass es "sich vielfach um Helfertätigkeiten handelt, zumal in Bereichen, in denen die Fluktuation meist hoch ist, etwa in der Gebäudereinigung oder der Gastronomie." Mehr als ein Drittel der Flüchtlinge, die 2018 eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gefunden hätten, seien in der Leiharbeitsbranche untergekommen. Und der Sprung von dort in eine dauerhafte Arbeit misslinge den meisten, heißt es in der Studie unter Berufung auf eine Auskunft der Bundesregierung.

Länder interpretieren Gesetze unterschiedlich

Zwar gebe es Hürden, die nicht der deutschen Politik und Verwaltung anzulasten seien. Das seien neben den Sprachschwierigkeiten die Notwendigkeit, schnell Geld zu verdienen, etwa um zurückgebliebene Verwandte zu unterstützen, oder aber die Schulden bei Schleppern abzuzahlen.

Die Auskünfte der Geflüchteten wie auch die von Fachleuten, die man gesammelt habe – Arbeitgeberinnen und Behördenmitarbeiter etwa –, legten aber "nahe, dass die institutionellen Hürden hinderlicher sind als die mitgebrachten". Dazu gehöre, dass Flüchtlinge, die arbeiten wollen, in den Gemeinden "zugleich an Sozial-, Wohnungs- und Ausländeramt, an Bamf-Außenstelle, Jobcenter und/oder Arbeitsagentur" wenden müssten. Die föderale Aufteilung der Zuständigkeiten führe dazu, dass die Länder Bundesgesetze unterschiedlich interpretierten – in Bayern etwa werde das Abschiebeverbot während einer Ausbildung "sehr zuungunsten der Geflüchteten ausgelegt". Die enden bei Geflüchteten zudem auch klar häufiger (37,5 Prozent) als die Ausbildungsverhältnisse von Deutschen (24,9 Prozent) oder im Schnitt aller Azubis ohne deutschen Pass. Zwar gehen die insgesamt hohen Abbruchzahlen auch darauf zurück, dass die jungen Leute die Berufswahl ändern oder den Betrieb wechseln. Flüchtlinge freilich, sagte Ko-Autor Frederick Sixtus dem Tagesspiegel, scheiterten meist an der Berufsschule und der Sprache wegen. Geduldete etwa dürften zwar mit Erlaubnis eine Ausbildung beginnen, sie hätten aber keinen Zugang zu berufsspezifischen Sprachkursen. Zudem passten die Kurszeiten oft nicht zu den Anforderungen des Ausbildungsbetriebs.

Hoher Anteil von Kindern großes Potenzial

Ein weiterer Stein im Weg ist der Datenaustausch zwischen Bund, Land und Kommunen. Der lahme, weil schon die IT-Standards höchst unterschiedlich seien. Und da der Gesetzgeber immer mehr Migrationsgesetze produziere, werde die Rechtslage für die, die sie anwenden müssen, so unübersichtlich, dass die Gesetze in der Praxis erst gar nicht ausreichend umgesetzt würden. Einige hielten Geflüchtete auch direkt vom Arbeiten ab, so die Wohnsitzauflage, die 2016 (wieder) eingeführt wurde.

Die Unsicherheit ihrer Perspektive in Deutschland, verhinderter Familiennachzug und anderes hinderten sie außerdem daran, sich wirklich auf ihre neue Heimat Deutschland einzulassen und ihre Zukunft hier anzupacken, schreiben Kiziak, Sixtus und Klingholz.

Die oft beklagte mangelnde Qualifikation – 2016 waren elf Prozent Hochschulabsolventen, nur fünf Prozent hatten eine abgeschlossene Berufsausbildung – scheint es jedenfalls nicht zu sein: Viele Flüchtlinge, heißt es im Papier, "waren zum Zeitpunkt ihrer Flucht schlicht noch zu jung für einen Berufsabschluss". Insgesamt sei der hohe Anteil junger Leute, vor allem von Kindern, ein Vorteil. "Sie sind das vielleicht größte Potenzial für den Arbeitsmarkt – wenn auch erst in einigen Jahren."

Die Politik könne sich nicht entscheiden, so die Forscher

Als Grundübel identifizieren die drei, dass die deutsche Politik sich nicht entscheiden kann: Sie wolle sämtlichen Positionen der deutschen Gesellschaft Rechnung tragen, von "konservativ bis weltoffen-progressiv", fürchte zugleich den rechten Rand und dass der stärker werde, und fühle sich durch die europäischen Nachbarn gefordert, "deren zunehmend restriktive Politik nachzuahmen".

Dieses Gemisch führe "zu unpraktikablen Kompromissen und mitunter zu Symbolpolitik", urteilt die Studie. "Im Ergebnis erschwert vieles am aktuell eingeschlagenen Weg die Situation der Geflüchteten, die in Deutschland leben, ohne gleichzeitig einen echten Ausgleich zwischen gesellschaftlichen Positionen zu schaffen." 

Weniger Gesetze, mehr Pragmatismus

Als Ausweg schlagen Kiziak, Sixtus und Klingholz ein Umdenken im Parlament hin zu besserer Arbeit an den Gesetzen vor: Man solle lieber auf die verzichten, die Ergebnis mühsamer Koalitionskompromisse seien und folglich so unklar formuliert, dass sie weit auslegbar seien und Probleme nur berührten, statt sie zu lösen.

Weniger sei mehr: Weil immer neue komplizierte Gesetze kaum "zügig und angemessen" umsetzbar seine, sollte Politik "anerkennen, dass die Gesetzgebung nicht alles bis ins Detail regeln kann, sondern dass die Lösung für manch schwierige Sachlage eher in einem guten Verwaltungsmanagement und praktikablen Gesetzen liegt".

Und die Politik müsse anerkennen, dass Ausnahmesituationen wie die hohe Fluchteinwanderung von 2015 und 2016 am besten auch mit Ausnahmeregelungen gelöst würden: Das könnte eine Stichtagsregelung sei – die schon das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit vorgeschlagen hat: Wer vor Ende 2017 nach Deutschland kam, solle pauschal eine befristete Aufenthaltserlaubnis erhalten, die je nach Stand der Integration verlängert würde. So erhielten die Menschen rasch die nötige Rechtssicherheit und hätten es auf dem Weg in den Arbeitsmarkt leichter. Den Versuch, aus der akuten Flüchtlingskrise heraus ein neues System der Migrationssteuerung zu schaffen, erklären sie für unmöglich: "Eine Ausnahmesituation eignet sich nicht, um Weichen für die Zukunft zu stellen."

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