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Trauer in Königs Wusterhausen. Im Dezember 2020 erschoss ein radikaler Impfgegner in der brandenburgischen Stadt seine Frau und die drei Töchter. Die Polizei stuft die Tat als rechts motiviert ein

© Patrick Pleul/dpa

Exklusiv

Mindestens 113 Todesopfer rechter Gewalt seit 1990: Polizei wertet Vierfach-Mord in Brandenburg als rechtes Tötungsdelikt

Brandenburgs Polizei stuft die Bluttat in Königs Wusterhausen als antisemitisch und rechts ein. Damit steigt die Zahl der Opfer rechter Morde in Deutschland.

Von Frank Jansen

Rechts motivierte Täter haben seit der Wiedervereinigung mehr Menschen getötet als bislang bekannt war. Das Bundesinnenministerium meldet für Dezember 2021 insgesamt vier Todesopfer rechter Gewalt. Das geht aus der jetzt vorliegenden Antwort auf eine Kleine Anfrage von Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke) und ihrer Fraktion zu rechter Kriminalität 2021 hervor.

Im Papier nennt das Ministerium keinen Tatort, doch nach Recherchen des Tagesspiegels geht es um das dramatische Verbrechen vom 4. Dezember in der brandenburgischen Stadt Königs Wusterhausen. Ein radikaler Impfgegner, der an eine jüdische Weltverschwörung glaubte, erschoss seine Frau und die drei Töchter im Alter von vier, acht und zehn Jahren. Danach tötete der Mann sich selbst.

Das Brandenburger Polizeipräsidium teilte jetzt auf Anfrage mit, die Tat sei nicht nur als antisemitisch eingestuft worden, sondern auch als "Politisch motivierte Kriminalität - rechts". Damit erhöht sich die offizielle, bundesweite Zahl der Todesopfer rechter Gewalt seit der Wiedervereinigung von 109 auf 113.

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Die furchtbare Bilanz bildet allerdings nur einen Teil der Realität ab. Der Tagesspiegel kommt in einer Langzeitrecherche auf 191 Menschen, die seit dem 3. Oktober 1990 bei Angriffen von Neonazis und anderen Rechten starben. Die in Königs Wusterhausen erschossenen Kinder und ihre Mutter sind in der Zahl enthalten.

Behörden verschwiegen politisches Tatmotiv

In Brandenburg hatten Polizei und Staatsanwaltschaft zunächst nicht öffentlich bekannt gegeben, dass das Verbrechen in der Kleinstadt als politisch motiviert gewertet wird. Erst vergangene Woche kam heraus, dass das Bundesinnenministerium die Tat zumindest als antisemitisch bezeichnet - in der Antwort auf eine frühere Anfrage von Petra Pau speziell zu Straftaten von Judenhassern im Jahr 2021.

Im Papier des Ministeriums heißt es, der Täter sei überzeugt gewesen, "dass der Staat mit der Impfkampagne einen bösen Plan verfolge und die Weltbevölkerung um die Hälfte reduzieren und eine neue Weltordnung unter jüdischer Führung gründen wolle". Die Einordnung der Tat als antisemitisch ergebe sich aus der Ansicht des Mannes, "dass es eine jüdische Weltverschwörung gäbe". Diese Bewertung ging auf die Brandenburger Polizei zurück.

Zuvor hatten die Brandenburger Behörden nur angedeutet, der Familienvater Devid R. habe Impfnachweise gefälscht, sich in der Querdenker-Szene bewegt und in einem Abschiedsbrief Angst vor einer Verhaftung und der Wegnahme der Kinder geäußert.

Höchststand bei antisemitischen Delikten

Vergangene Woche wurde zudem bekannt, dass die Zahl aller antisemitischen Delikte in Deutschland 2021 den höchsten Stand seit 2001 erreicht hat. Das Bundesinnenministerium meldete nach vorläufigen Erkenntnissen der Polizei insgesamt 3028 Straftaten von Judenhassern. Das sind knapp 30 Prozent mehr als 2020.

Die Zahlen seien "zutiefst erschreckend, aber leider nicht wirklich überraschend", sagte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster. Die Enthemmung und Radikalisierung, die vor allem unter den Corona-Leugnern und Impfgegnern zu beobachten sei, "trägt sicherlich zu dieser Entwicklung bei".

Bedrückend ist auch die Bilanz rechts motivierter Straftaten im vergangenen Jahr. Das Bundesinnenministerium spricht jetzt in der Antwort auf die Anfrage von Pau zu rechter Kriminalität von 21.514 Delikten, darunter 1020 Gewalttaten. Auch diese Zahlen werden noch steigen, da die Polizei erfahrungsgemäß bis ins Frühjahr hinein Altfälle nachmeldet.

Dennoch ist zu vermuten, dass der traurige Rekord von 2020 nicht übertroffen wird. Damals hatte die Polizei insgesamt 23.604 rechte Straftaten registriert. Das war der höchste Stand seit Einführung des polizeilichen Erfassungssystems "Politisch motivierte Kriminalität (PMK)" im Jahr 2001.

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