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Vielen Bürgern reicht es nicht aus, bei den aktuellen Wahlen abstimmen zu dürfen.

© Gregor Fischer/dpa

Positive Erfahrungen mit Volksabstimmungen: "Mehr Demokratie" fordert Bürgerrat auf Bundesebene

Der Verein „Mehr Demokratie“ will stärkere Beteiligungsmöglichkeiten zwischen den Wahlen schaffen. Wie kann das funktionieren?

Der Wunsch nach mehr Mitwirkungsmöglichkeiten in der Politik treibt viele Bürger um. 70 Prozent der Deutschen wünschen sich laut einer Civey-Umfrage mehr Beteiligung an politischen Entscheidungen – große Erwartungen, denen die große Koalition bisher nicht gerecht geworden ist. Im Koalitionsvertrag steht, dass eine Expertenkommission eingerichtet werden soll. Passiert ist nichts.

Der Verein „Mehr Demokratie“ will sich mit dem Stillstand nicht abfinden und hat einen Bürgerrat gegründet. 160 bundesweit ausgeloste Teilnehmer diskutierten ein Wochenende lang in Kleingruppen über verschiedene Themen. Die Ergebnisse wurden an Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble übergeben.

Zentrale Forderungen des Rats sind ein Lobbyregister, ein institutionalisierter Bürgerrat, eine Stabstelle für Bürgerbeteiligung und bundesweite Volksentscheide. „Ich habe mich ernst genommen gefühlt“, berichtet eine junge Teilnehmerin.

„Mehr Demokratie“ hatte von Anfang an Unterstützung von Schäuble. „Ich rate dem Bundestag dringend, dass er den Bürgerrat beachtet“, sagt er. Als das Projekt in mehreren Regionalkonferenzen vorgestellt wurde, waren auch Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus und der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow dabei. Die drei Forderungen des Bürgerrates halten Vertreter verschiedener Parteien für realisierbar.

Der Politikwissenschaftler und Demokratieforscher Arndt Leininger ist anderer Meinung: „Ich halte es für sehr optimistisch, davon auszugehen, dass diese Punkte in den nächsten zwei Jahren umgesetzt werden.“ Für die Umsetzung bräuchte es mehr Details: Welche Rechte soll der Bürgerrat haben? Welche Themen behandelt er? Welche nicht?

Grundgesetz für Volksentscheide ändern

Für die letzte Forderung, die Einführung bundesweiter Volksentscheide, müsste man das Grundgesetz ändern. „Man braucht ein formal klar definiertes Verfahren. Zum Beispiel, welche Mehrheitsregelung ist für Abstimmungen sinnvoll? In Großbritannien war die Mehrheitsregel von 50/50 auch aufgrund des sehr knappen Ausgangs des Referendums nicht unumstritten“, sagt Leininger.

Auch Fraktionsvertreter sind skeptisch. „Ich habe Bedenken, weil es da eine große Gefahr gibt, sich gegen etwas zu wenden, und später muss man die Haftung für die politische Umsetzung nicht tragen“, sagt der CDU-Bundestagsabgeordnete Thorsten Frei. „Ich halte es für ganz entscheidend, dass die repräsentative Demokratie nicht ersetzt wird.“

Gute Erfahrungen in der Schweiz

In der Schweiz gibt es Volksentscheide schon lange. Andreas Glaser, Direktor vom Demokratiezentrum Aarau, sagt: „Die Erfahrungen, die wir mit Volksabstimmungen machen, sind rundum positiv. Dadurch, dass sich die Bürger hier aktiv beteiligen können, kann es nicht zu einer dauerhaften Entfremdung von Politik und Bürgern kommen.“

Für Volksabstimmungen in Deutschland sieht er keinen Hinderungsgrund. Allerdings könnte man selbst damit nicht alle Bürger erreichen. Diejenigen, die sich nicht freiwillig mit Politik auseinandersetzen, wählen bei Bürgerentscheiden meist nicht mit. Die Abstimmungsquote liegt in dieser Bevölkerungsgruppe bei etwa 50 Prozent.

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