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Präsident der Türkei: Recep Tayyip Erdogan.

© Imago Images/Depo Photos

Präsident fürchtet Machtverlust: Erdogan droht Bürgermeistern von Ankara und Istanbul

Wirtschaftskrise, schlechte Umfragewerte: Vor den Wahlen 2023 bringt sich der türkische Präsident gegen beliebte Rivalen in Stellung. Erdogan spricht von Amtsenthebung.

Recep Tayyip Erdogan hat mit Ekrem Imamoglu und Mansur Yavas noch eine Rechnung offen. Die beiden Oppositionspolitiker hatten dem türkischen Präsidenten vor knapp drei Jahren die empfindlichste Niederlage seiner langen Karriere beigebracht. Imamoglu gewann damals die Bürgermeisterwahl in der Metropole Istanbul, während Yavas neues Stadtoberhaupt der Hauptstadt Ankara wurde. Heute sind beide Hoffnungsträger der Erdogan-Gegner und bei den Wählern beliebter als der Präsident.

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Rechtzeitig vor den nächsten Wahlen erwägt Erdogan nun eine Amtsenthebung dieser Rivalen. Zahlen des angesehenen Demoskopie-Instituts MetroPoll belegten vor wenigen Tagen, warum Erdogan Imamoglu und Yavas fürchtet. Auf der MetroPoll-Liste der beliebtesten Politiker des Landes landete Yavas mit mehr als 60 Prozent Zustimmung auf dem ersten Platz, gefolgt von Imamoglu mit knapp 51 Prozent. Den dritten Platz belegte Meral Aksener, Vorsitzende der konservativen Oppositionspartei IYI Parti, mit 38,5 Prozent. Für Erdogan blieb mit 37,9 Prozent Zustimmung nur der vierte Platz.

Eine andere Umfrage zeigte, dass nicht nur Erdogan selbst unbeliebter wird, sondern auch das von ihm eingeführte Präsidialsystem. In der Befragung des Zentrums für Soziopolitische Feldforschung kritisierten 60 Prozent der Teilnehmer das Präsidialsystem als Fehlschlag.

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Erdogan hat viel Vertrauen eingebüßt

Für Erdogan sind die Daten eine Katastrophe: Obwohl er sich über die regierungsnahen großen Medien des Landes fast täglich and Volk wenden kann und die Opposition nur wenige Möglichkeiten hat, sich Gehör zu verschaffen, sind zwei relativ geräuschlos regierende Bürgermeister viel beliebter als er.

Bürgermeister der Metropole Istanbul: Ekrem Imamoglu.
Bürgermeister der Metropole Istanbul: Ekrem Imamoglu.

© Imago Images/Seskim Photo

Erdogan hat wegen der Finanzkrise in der Türkei bei den Wählern offenbar so viel Vertrauen eingebüßt, dass es für Imamoglu und Yavas genügt, größere Skandale zu vermeiden. Ob sie bei der im Juni kommenden Jahres anstehenden Präsidenten- und Parlamentswahl gegen Erdogan antreten werden, wollen beide noch nicht sagen – doch für den Staatschef ist die Gefahr offensichtlich.

Die Türken leiden unter einer hohen Inflation und einem Kurzabsturz der Lira, die größtenteils auf Erdogans Politik zurückzuführen sind. Der Präsident und seine Regierung versprechen, dass die Lage bald besser wird. Erdogan will mit niedrigen Zinsen und billigen Krediten einen Wirtschaftsboom auslösen, der ihn zum nächsten Wahlsieg tragen soll.

Erdogan ist sich seiner Sache nicht mehr sicher

Mit den Drohungen gegen die Bürgermeister lässt der 67-jährige Staatschef nun aber erkennen, dass er sich seiner Sache nicht sicher ist. Seine Regierung wirft Imamoglu vor, nach seinem Amtsantritt in Istanbul 2019 hunderte Extremisten mit Posten in der Stadtverwaltung versorgt zu haben, darunter Mitglieder der kurdischen Terrororganisation PKK und Angehörige von linksextremistischen Gruppen. Das Innenministerium hat eine Untersuchung eingeleitet.

Der Vorwurf passt zu Erdogans Taktik, Imamoglus linksnationale Partei CHP als staatsfeindliche Organisation hinzustellen, die mit Terroristen paktiere, um an die Macht zu kommen. Wenn Imamoglu schuldig sei, müsse er sofort aus dem Amt entfernt werden, fordert Erdogans Bündnispartner, der Rechtsnationalist Devlet Bahceli.

Bürgermeister der Hauptstadt Ankara: Mansur Yavas.
Bürgermeister der Hauptstadt Ankara: Mansur Yavas.

© Anton Novoderezhkin/Tass/dpa

Auch Erdogan bekräftigte jetzt den Vorwurf gegen Imamoglu und weitete ihn auf Yavas aus: Auch in Ankara würden linke und kurdische Extremisten von der Stadt beschäftigt. Im Fall von Yavas ist die Anschuldigung noch absurder als bei Imamoglu, denn er kommt aus dem rechtsnationalistischen Spektrum, auch wenn er als CHP-Kandidat zum Bürgermeister gewählt wurde.

Andere Oppositionelle ließ Erdogan ins Gefängnis werfen

Die Drohung ist ernst, denn andere Oppositionspolitiker sind bereits im Gefängnis, weil sie Erdogan gefährlich wurden. Der frühere Chef der Kurdenpartei HDP, Selahattin Demirtas, sitzt seit mehr als fünf Jahren in Haft, obwohl der Europäische Menschenrechtsgerichtshof seine Freilassung angeordnet hat.

Erdogan warnte die Opposition davor, gegen ihn auf die Straße zu gehen. Seine Anhänger würden auf Protestdemonstrationen gegen die Regierung so reagieren wie auf den Putschversuch von 2016, sagte er. Damals hatten sich tausende Türken gegen Einheiten der Armee gestellt, die Erdogan entmachten wollten. Bisher reagieren Erdogans Gegner gelassen auf die Einschüchterungsversuche. Imamoglu kommentierte Gerüchte, wonach die regierungstreue Justiz bereits eine Anklageschrift gegen ihn ausgearbeitet habe, mit der Bemerkung, das sei ein „schöner Witz“.

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