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Pro & Contra: Sollte die AfD verboten werden?
Erstmals ist die AfD laut Sonntagsfrage stärkste Kraft. Das wirft erneut die Frage auf, ob ein Verbotsverfahren gegen die Partei sinnvoll wäre.
Stand:
Nach einer Umfrage des Instituts Ipsos liegt die AfD in Umfragen bei 25 Prozent und damit erstmals vor der Union. Gegenüber der letzten Umfrage Anfang März gewann die AfD somit drei Prozentpunkte hinzu.
Gleichzeitig haben 61 Prozent aller Deutschen laut einer Erhebung der Konrad-Adenauer-Stiftung große oder sehr große Angst, dass die AfD in Deutschland das Sagen bekommt. Hier schreiben zwei Tagesspiegel-Autoren über die Frage, ob es zeitnah ein Verbotsverfahren braucht.
Pro AfD-Verbot
Selbstverständlich muss die AfD verboten werden. Ein entsprechendes Verfahren wird der Bundestag auch auf den Weg bringen, sobald das Bundesamt für Verfassungsschutz die rechtsextreme Partei endlich als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft hat.
Dass dies bis jetzt ausblieb, ist skandalös und liegt ganz wesentlich an der Weigerung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), nach dem Abgang des BfV-Präsidenten Thomas Haldenwang im vergangenen November die Spitze des Bundesamts nachzubesetzen. Genau dies hatte Faeser zunächst angekündigt, dann aber nicht umgesetzt. Der Posten wird nun erst von Faesers Nachfolger neu besetzt – und vor diesem Zeitpunkt wird das neue AfD-Gutachten nicht veröffentlicht.
Die Beweise sind überwältigend.
Sebastian Leber
Sobald die Einstufung kommt, dürfte eine breite Mehrheit des neuen Bundestags für ein Verbotsverfahren stimmen. Viele Unions- und SPD-Abgeordnete haben genau dies zur Bedingung für ihre Zustimmung gemacht.
Die Einstufung wird zeitnah kommen, denn die Beweise sind überwältigend. Dies weiß auch jeder, der sich die vorherigen Gutachten des Bundesamts zur Partei, also jene von 2019 und 2021, aufmerksam durchgelesen hat. Leider haben dies viele derer, die ein Verbotsverfahren bislang lautstark ablehnen, meiner Erfahrung nach bis heute nicht getan.
Wer sich gegen ein Verbotsverfahren ausspricht, sollte sich zumindest gründlich informiert haben.
Sebastian Leber
Oft haben sie auch nicht das Gutachten der 17 Staatsrechtler oder den offenen Brief von rund 600 Juristen zu diesem Thema gelesen. Angesichts dessen, was gerade auf dem Spiel steht, nämlich die Bundesrepublik Deutschland, finde ich eine solche Nachlässigkeit sehr befremdlich. Wer sich gegen ein Verbotsverfahren ausspricht, sollte sich zumindest gründlich informiert haben.
Ein beliebtes Argument der Verbotsgegner ist die Behauptung, man könne die AfD gar nicht verbieten, da sie inzwischen zu viele Wähler habe. Wo sollten die denn alle hin, bitteschön? Dieses Argument ist gerade mit Blick auf die deutsche Vergangenheit bizarr. Ja, wo sind denn 1945 die Millionen Anhänger der NSDAP hin, einer Partei, die immerhin mal 43,9 Prozent erhielt? Sind diese Menschen damals alle auf die Barrikaden gegangen – oder kann es vielleicht sein, dass sie bei der ersten Bundestagswahl 1949 einfach eine der Parteien wählten, die zur Wahl zugelassen waren?
Der durchschnittliche AfD-Wähler ist zu faul, um als revolutionärer Kämpfer in den Untergrund zu ziehen.
Sebastian Leber
Manche Verbotsgegner äußern gar die Sorge, zehntausende AfD-Wähler könnten im Verbotsfall in den Untergrund gehen. Diese Behauptung ist so lebensfern, dass man schmunzeln muss. Auch ohne empirische Untermauerung wage ich zu behaupten: Der durchschnittliche AfD-Wähler ist zu faul, um als revolutionärer Kämpfer in den Untergrund zu ziehen. Denn auch Anhänger dieser Partei wünschen sich ein gutes Leben, zumindest für sich selbst. Und das Leben im Untergrund ist äußerst beschwerlich. Sollten sich dennoch einzelne Radikale für diesen Weg entscheiden, wird unser Rechtsstaat mit ihnen fertig werden.
Dass ein Verbotsverfahren gelingen wird, zeigen auch die Erfahrungen mit dem gescheiterten NPD-Verbotsverfahren von 2001. Damals gab es zwei Probleme. Erstens war die NPD mit ihren vergleichsweise mickrigen Wahlergebnissen für ein Verbot nicht relevant genug, also keine wirkliche Bedrohung für die Bundesrepublik. Dies ist bei der AfD nicht der Fall. Zweitens weigerten sich die Antragssteller damals, dem Gericht die Namen der verdeckten Ermittler zu nennen, die in der Partei agierten. Vermutlich wollten sie ihre geheimen Informanten nicht verlieren. Auch dies ist bei der AfD anders: Hier braucht es keine Informanten, weil AfD-Funktionäre öffentlich erklären, was sie mit der Bundesrepublik anstellen wollen. Und das reicht für ein Verbot vollkommen aus.
Contra AfD-Verbot
Der Aufstieg der AfD zur oppositionellen Volkspartei ist beängstigend. Nicht, weil sie eine Nazi-Partei mit Nazi-Absichten ist. Sondern weil sie die Leute, die in derartigen Abgründen politische Heimat fühlen, weiterhin in ihren Reihen hält. Ihre Radikalität, ihre geschichtsverleugnenden Reden und ihre Tabuverstöße scheinen zum Erfolg beigetragen zu haben.
Der Weg nach rechts ist es, der die Partei zum großen Publikum führte. Nicht, wie etwa bei Frankreichs Rechtspopulisten, der in die Mitte.
Politisch ist das vielleicht die größte Herausforderung seit Gründung der Bundesrepublik.
Jost Müller-Neuhof
Daraus allerdings den Schluss zu ziehen, es seien eben doch Nazis am Werk, die mit Nazi-Methoden und voller Hass auf Minderheiten nach Zugriff auf die Staatsmacht trachten, wäre unbedacht. Den reaktionären Rollback gibt es in zahlreichen westlichen Demokratien. Bis hinauf in die Regierungen.
Kann also sein, dass viele Wähler die AfD nicht wegen Höcke und seinen Gesinnungsfreunden mögen, sondern obwohl die dabei sind; dass sie mit der AfD anderes verbinden als die Abschaffung der Demokratie und den Wiederaufstieg einer gewalttätigen Diktatur; dass die Partei tatsächlich eine Alternative für sie bietet, zumindest eine Alternative für ihren diffusen und zuvor namenlos gebliebenen Protest gegen Eliten aller Art, gegen Gebildete, Globalisierungsgewinner, Fortschrittler und Volkserzieher.
Wie geht man damit um? Politisch ist das vielleicht die größte Herausforderung seit Gründung der Bundesrepublik. Entsprechend würde sich eine politische Bewältigung empfehlen.
Nicht die Partei ist das Problem – es ist ihre ungeheuerliche Attraktivität.
Jost Müller-Neuhof
Doch anders als in vielen anderen Verfassungsstaaten steht hier das Instrument eines Parteiverbots zur Verfügung, als Element einer „wehrhaften Demokratie“. Sie soll sich einer autoritären Herrschaft nicht noch einmal so ergeben wie damals, als die dunkelste Zeit der jüngeren Geschichte begann.
Ein Instrument mit Reiz, weil sich eine Partei damit einfach zerschlagen lässt. Aber wie sich zeigt, ist nicht die Partei das Problem – es ist ihre ungeheuerliche Attraktivität als Dagegen-Partei, offenkundig auch für viele junge Leute.
Es wäre vermutlich naiv zu glauben, sie alle machten hernach ihr Kreuzchen wieder irgendwo zwischen Linken und FDP, weil nun die Alternative fehlt. Schließlich haben sie dann gesehen, wie sich die „wehrhafte Demokratie“ wirkmächtig gegen sie zusammenschloss, obwohl die Wählerinnen und Wähler den aktuellen Deutschen Bundestag in der Mehrheit bürgerlich-konservativ bis reaktionär zusammengestellt haben.
Denkbar also, dass schon die Einleitung eines Verbotsverfahrens der AfD einen neuen Beliebtheitsschub verpasst, weil exakt dieses Vorgehen alle Ressentiments bestätigt, die sich bei den notorisch Unterlegenen über die Jahre angesammelt haben. Die nächste Teilung Deutschlands. Eine Erfahrung, die man lieber nicht bezeugen möchte.
Schon gar nicht, wenn man sich das mögliche Ende vorstellt: Freispruch für die AfD, weil die Belege nicht reichen. Einiges spricht für dieses Finale. Es wäre dann nicht nur der Triumph der AfD, der grausen macht, es wäre die zerstörte Glaubwürdigkeit ihrer Ankläger. Nein, so besser nicht. Wir schaffen das anders.
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