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Doppelrolle? Die Universitäten warnen vor Konflikten im Praxissemester.

© dpa

Update

Protest der Berliner Hochschulen: Lehrermangel: Unis drohen dem Senat

Unterrichten statt Kellnern: Professoren kritisieren Berliner Bildungsverwaltung als „unzuverlässigen Partner“. Streit auch um abgeordnete Lehrer.

Berlins Universitäten warnen davor, dass der Senat mit seinem Programm „Unterrichten statt Kellnern“ das Problem des Lehrermangels verschärfe statt es zu beheben. Die Notmaßnahme richtet sich an Lehramtsstudenten. Ihnen wird angeboten, neben dem Masterstudium bis zu einer halben Lehrerstelle auszufüllen – als reguläre Lehrkraft, nicht nur als Vertretung.

Das viele Unterrichten neben dem Studium werde sich „ohne Frage“ negativ auf die Leistungen der Studierenden und ihre Präsenz in den Hochschulen auswirken, heißt es in einem Brief der vier Universitäten an Bildungsstaatssekretär Mark Rackles (SPD). Das erschwere es den Universitäten, die vereinbarten Absolventenzahlen zu erreichen. Zudem werde das Studium länger dauern, müssten Schulen also noch länger auf Lehrernachwuchs warten. Rackles wies die Vorwürfe zurück.

Gleichzeitig Praktikant und Lehrkraft

Besonders verärgert sind die Universitäten darüber, dass die Studierenden auch an der Schule arbeiten können, an der sie ihr Praxissemester absolvieren. Dadurch werde die Abmachung "negiert", wonach Studierende an der Schule, an der sie das Praxissemester absolvieren, nicht gleichzeitig als bezahlte Vertretungskraft arbeiten sollen. Im Gegensatz dazu heißt es in dem Flyer zum Programm "Unterrichten statt Kellnern", dass die Studierenden gleichzeitig an einer Schule bezahlt und eigenverantwortlich sowie als Praktikant und nur in Anwesenheit einer Lehrkraft auftreten können. Auf diese "Doppelrolle", so die Hochschulen, seien die Betroffenen nicht vorbereitet. "Ressourcenbindende Konfliktfälle" seien unausweichlich, weil sich die Senatsverwaltung nicht an Absprachen halte.

"Vereinbarungen werden wissentlich unterlaufen"

Die Bildungsverwaltung präsentiere sich also als „unzuverlässiger Partner“, da sie die gemeinsamen Vereinbarungen „wissentlich“ unterlaufe, so der Vorwurf in dem Brief, der dem Tagesspiegel vorliegt. Er ist von den Direktoren der Schools of Education von Humboldt-, Technischer und Freier Universität unterzeichnet sowie von der Universität der Künste. Mit dem Programm „Unterrichten statt Kellnern“ greife die Verwaltung „direkt“ in die Studiensituation ein und verändere „ohne Absprache die Bedingungen, auf deren Grundlage nicht zuletzt der Hochschulvertrag beruht“. Es stelle sich somit die Frage, „warum die Universitäten ihre Zusagen weiterhin einhalten sollten“. Zu diesen Zusagen zählt, dass die Universitäten mehr Lehramtsabsolventen als bisher zum Abschluss führen. Sie drohen somit indirekt damit, die verabredeten Sollzahlen nicht zu erfüllen.

"Statt bei McFit oder McDonalds"

Der Brief zeuge von einer „leichten akademischen Lebens- und Praxisferne“, so Staatssekretär Rackles gegenüber dem Tagesspiegel. Studierende hätten „zu jedem beliebigen Zeitpunkt parallel zum Studium gearbeitet“. Es gehe nun darum, dass die Masterstudenten „statt bei McFit oder McDonalds in ihrem späteren Berufsfeld arbeiten“. Das sei den Universitäten bei einer Sitzung am 22. Mai mitgeteilt worden. Die Hochschulen sollten ihre Kräfte für die Erhöhung der Zulassungs- und Abschlusszahlen sowie für die Senkung der Abbruchzahlen bündeln und nicht über die „Monstranz“ vermeintlich studienzeitverlängernder Programme „fabulieren“.

Studenten protestieren gegen Verlust von Dozenten

Das ist aber nicht alles: Wie berichtet protestieren die Universitäten auch gegen die geplanten Rückholung von Lehrern, die an die Universitäten abgeordnet sind, um Lehramtsstudenten in Didaktik unterrichten. In dieser Sache meldeten sich auch Studenten zu Wort. Am Freitag teilten sie mit, dass sie seit Mittwoch mit einer Unterschriftensammlung auf das Vorhaben reagierten.

In diesem Punkt kommt Rackles den Hochschulen nun aber „voraussichtlich“ entgegen: Die kritisierte Rückholung könnte ein Jahr später erfolgen, da die Sicherstellung des didaktischen Angebots aus Sicht der Bildungsverwaltung Priorität habe, stellte Rackles gegenüber dem Tagesspiegel in Aussicht. Die Entscheidung falle bis Montag. Gleichzeitig deutete er aber an, dass dafür eine "gegebenenfalls erhöhte Substitution" 2019/20 fällig werde. Hierzu müsse aber erstmal die "Fehlentwicklung bei der universitären Absicherung des Didaktikangebots für die einzelnen Fächer identifiziert werden". Rackles betonte, dass die "Rückführung" von etwa einem Viertel der an die Universitäten abgeordneten Lehrer angesichts des Bedarfs in den Schulen seiner Ansicht nach "sehr gut vertretbar" sei.

"Fehlentwicklung" in den Universitäten?

Allerdings hätten die Fachbereiche und auch Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach (SPD) die Bildungsverwaltung zu seinem "großen Erstaunen" "über die Presse" wissen lassen, dass einige Didaktiken ohne die abgeordneten Lehrer "vollständig einbrechen/wegbrechen würden", berichtet Staatssekretär Rackles. Auf erste Nachfragen scheine sich zu bestätigen, "dass die auf Exzellenz getrimmten Hochschulen sich fast vollständig aus der Ausbildung des didaktischen Nachwuchses zurückgezogen haben". Didaktik scheine stellenweise nur noch durch  Lehrkräfte zu erfolgen. Das sei ganz sicher nicht das mit Hochschulen vereinbarte Modell, "dass wir die Didaktiker durch Praktiker ergänzen".

Zwei Staatssekretäre - zwei Wahrnehmungen

Die Bildungsverwaltung werde dieses "bislang unbekanntes strukturelles Defizit so nicht akzeptieren". Daher will Rackles "zur notwendigen Umstellung auf ein geregeltes Didaktikangebot" die zuständigen Vertreter der Fachbereiche und Hochschulleitungen einladen, kündigte Rackles auf Anfrage an. Er wies zudem den Vorwurf zurück, dass die Universitäten nicht unterrichtet gewesen seien: Vielmehr habe er das Vorhaben in Anwesenheit von Staatssekretär Krachs an besagtem 22. Mai erläutert.

Dazu teilte die Wissenschaftsverwaltung auf Anfrage mit, es sei in der fraglichen Sitzung vereinbart worden, dass das Anliegen der Bildungsverwaltung nochmal im Detail mit den Universitäten abgesprochen werden müsse. "Nach unserer Kenntnis ist dies nicht erfolgt", sagte Krachs Sprecher Matthias Kuder. Im übrigen sei sowohl die Rücknahme der Abordnungen als auch die Idee zum "Unterrichten statt Kellnern" seitens der Bildungsverwaltung auf besagter Sitzung am 22. Mai nur auf Nachfrage der Universitäten und nur unter dem Tagesordnungspunkt „Verschiedenes“ angesprochen worden: "Da zu beiden Sachverhalten an dem Tag keine Details vorlagen, wurde eine genauere Prüfung mit den Universitäten vereinbart", beharrt Kuder. Zu Rackles' Darstellung gegenüber dem Tagesspiegel, wonach Krach ihn in Bezug auf das Projekt "Unterrichten statt Kellnern" sogar unterstützt habe, sagte Kuder: "Eine Bewertung durch Herrn Krach konnte am 22. Mai mangels Details gar nicht erfolgt sein".

Die Europaschulen können teilweise aufatmen

Neben der mittelfristigen Rückführung von etwa 25 Prozent der an die Universitäten abgeordneten Lehrer werden noch weitere Pädagogen zurück in die Schulen geholt. Wie berichtet hat die Bildungsverwaltung zu diesem Zweck eine Liste der abgeordneten Lehrer zusammengestellt: "Insgesamt haben wir das eher bescheidene Ziel, zehn Prozent der abgeordneten Lehrkräfte wieder in Unterricht zu bekommen", bezifferte Rackles gegenüber dem Tagesspiegel den Rahmen.

Betroffen sind auch die Europaschulen. Wie berichtet, kursierte zunächst der Plan, den Schulen rund 200 Lehrerstunden wegzunehmen, die bislang unter anderem der Vernetzung und gemeinsamen Europaprojekten dienen. Der "konkrete Einsatz der muttersprachlichen Lehrkräfte sei zu prüfen gewesen", erläuterte Rackles. Nachdem das nun geklärt sei, sei entschieden worden, die "Rückführungsquote dort abzusenken". Auch das sei aber erst am Montag "final".

Am Montag wird das Notprogramm präsentiert

Die Zeit drängt, weil die Schulen bislang nicht wissen, mit welchen Lehrern sie planen können. Die rot-rot-grüne Koalition quält sich seit Wochen mit offenen Fragen herum. Dazu gehört die gewünschte Entlastung der Quereinsteiger, deren Unterrichtsverpflichtung eigentlich von 19 auf 17 Stunden gekürzt werden sollte. Bis zuletzt war - wegen der Lehrerknappheit - unklar, ob dies zumindest teilweise gelingt. Zunächst mussten die Ergebnisse der "Quereinsteigercastings" abgewartet werden und die Rückmeldungen der Referendare, denen Angebote unterbreitet worden waren. Am Freitag sollten die Eckdaten so weit klar sein, dass die Koalition die noch offenen Fragen klären konnte. Die Ergebnisse werden am Montag der Öffentlichkeit präsentiert. Dann wird auch feststehen, ob der Lehrermangel mit größeren Klassen oder mit Abstrichen bei den Förderstunden kompensiert werden muss - oder ob nichts von alledem nötig ist.

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