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Protest der "Gelbwesten" in Paris: Mit brennenden Straßenblockaden wehren sich Franzosen gegen Steuererhöhungen für Benzin und Diesel

© dpa/AP/Michel Euler

Proteste der "Gelbwesten"-Bewegung: "Der Unmut steigt, aber er erreicht nicht einen solchen Pegel wie in Frankreich"

Der Protestforscher Dieter Rucht hält gewaltsame Proteste gegen die Regierungspolitik in Deutschland für eher unwahrscheinlich. Ein Interview.

Herr Professor Rucht, in Frankreich entlädt sich der Unmut über die Politik von Emmanuel Macron gerade in gewaltsamen Protesten. Wäre so etwas auch in Deutschland denkbar?

Nein. Solche Proteste halte ich in Deutschland für eher unwahrscheinlich. In Frankreich läuft das anders, dort ist es wie in einem Dampfkessel: Der Druck steigt und steigt, die Regierung reagiert nicht oder hält dagegen, und wenn der Druck zu groß wird, kommt es zu einer Explosion. Je nach Schwere der Ausschreitungen gibt die Regierung dann ein Stück nach. Dieses Muster der Auseinandersetzungen kann man in Frankreich seit Jahrzehnten beobachten.

Professor Dieter Rucht ist Protestforscher am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und am Institut für Protest- und Bewegungsforschung
Professor Dieter Rucht ist Protestforscher am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und am Institut für Protest- und Bewegungsforschung

© picture alliance / dpa/Paul Zinken

Gibt es in Deutschland andere Möglichkeiten, Unmut loszuwerden?

Es gibt zumindest andere institutionelle Kanäle. In Deutschland kann man beim Verwaltungsgericht Einspruch erheben und so Anliegen durchbringen. In Frankreich ist das theoretisch möglich, faktisch aber nicht. Hinzu kommt, dass es in der Parteienlandschaft in Frankreich auf der linken Seite keine starke Repräsentanz mehr gibt. Die Gewerkschaften sind geschwächt und die kommunistische und die sozialistische Partei liegen am Boden. Früher haben diese Kräfte einiges an Unmut aufgegriffen und weitergetragen. Heute gibt es da ein Vakuum. Und drittens fokussiert sich in Frankreich vieles auf die Person und Politik von Macron.

Inwiefern?

Nach innen setzt Macron sozialpolitische Kürzungen durch, nach außen will er die Welt korrigieren und verändern. Viele Franzosen empfinden das als Missverhältnis, nach dem Motto: Der kümmert sich um die EU und die Probleme dieser Welt, aber wenn es um uns Franzosen geht, dann tut er nichts.

Bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen hat sich auch bei uns Frust über die große Koalition im Bund entladen, etwa im Umgang mit dem Diesel-Skandal. Braut sich da nicht doch etwas zusammen?

Der Unmut steigt, aber er erreicht nicht einen solchen Pegel wie in Frankreich. Das liegt auch daran, dass der eine symbolträchtige Angriffspunkt fehlt. Das kann eine Person sein, auf die sich alles richtet, manchmal auch ein Gesetz. In Deutschland gibt es an vielen Stellen Unzufriedenheit, aber keinen zentralen Adressaten. Mal ist es der VW-Konzern oder generell die Autoindustrie, mal die Regierung. Im   Sozialen stehen außerdem bei uns keine Kürzungen an, es gibt daher weniger Gründe, um wütend zu sein. Und auch bei der Migration – dem Thema, das die Rechte stark aufgegriffen hat – hat die Regierung ja schon gegengesteuert.

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