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Eine Frau verabschiedet sich in Sibirien von einem Mann, der eingezogen wird.

© REUTERS / ALEXEY MALGAVKO

Update

Putins überstürzte Teilmobilmachung: Unausgebildete Rekruten schon jetzt an der Front im Einsatz

Mit neuen Rekruten will Kremlchef Wladimir Putin eine Wende im Ukraine-Krieg erzwingen. Doch die Männer erhalten kaum Training – und werden trotzdem bereits eingesetzt.

Viele durch die jüngste Teilmobilmachung rekrutierte russische Kämpfer ziehen nach Einschätzung britischer Geheimdienste ohne fundierte Ausbildung oder Erfahrung in den Krieg in der Ukraine. Dies mache hohe Verluste auf russischer Seite wahrscheinlich, hieß es am Montag in einem Kurzbericht des britischen Verteidigungsministeriums.

Der Kreml hat am Montag indes „Fehler“ bei der Umsetzung der Mobilmachung eingeräumt. „In der Tat gab es Fälle, in denen gegen das Dekret verstoßen wurde“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Angesichts der zahlreichen Ausreisen von Russen im kampffähigen Alter ließ Peskow durchblicken, dass Grenzschließungen nicht undenkbar seien.

Selbst Margarita Simonyan, die als Chefin des Senders RT Propaganda für Putin macht, äußerte sich kritisch zur Teilmobilisierung. Sie befürchtet einen Aufstand der Soldaten gegen den Kreml.

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Nach Einschätzung der Ukraine mussten die ersten russischen Rekruten bereits direkt nach ihrer Einberufung an die Front, um die Verluste dort auszugleichen. Dadurch sei eine Verschlechterung der Truppen-Moral und des psychologischen Zustands der feindlichen Kämpfer zu erwarten, teilte der Generalstab der Streitkräfte am Montag mit.

Ein Sammelzentrum für die Wehrpflichtige in Jakutsk in Russland.
Ein Sammelzentrum für die Wehrpflichtige in Jakutsk in Russland.

© dpa / Uncredited/AP/dpa

Berichte in den sozialen Medien legen nahe, dass zahlreiche Rekruten nach nur einem Tag Auffrischungstraining an die Front kamen, teilweise in Einheiten für die sie keinerlei Erfahrung hatten. Noch am Wochenende hatten zahlreiche Experten gemutmaßt, dass die Rekruten mindestens zwei Wochen Training erhalten würde, bevor sie an die Front kommen.

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Mangel an Ausbildern

Dem britischen Verteidigungsministerium zufolge stehe Moskau vor der enormen Herausforderung, die Truppen zu schulen. In der russischen Armee sei es im Gegensatz zu vielen westlichen Armeen üblich, eine Erstausbildung innerhalb operativer Einheiten zu durchlaufen, statt in speziellen Ausbildungseinrichtungen.

Normalerweise werde innerhalb jeder Brigade eine gewisse Zahl an Ausbildern bereitgestellt, die neue Rekruten trainieren würden. Viele dieser sogenannten dritten Bataillone befänden sich jedoch aktuell in der Ukraine. Dieser Mangel an Ausbildern und der überstürzte Ablauf der Teilmobilisierung werde jetzt zum Problem für Russland.

Russische Wehrpflichtige steigen in einen Bus.
Russische Wehrpflichtige steigen in einen Bus.

© Foto: dpa/Uncredited

Insgesamt will Putin rund 300.000 Reservisten einziehen lassen, um nach den Niederlagen der russischen Armee in der Ukraine die dort noch besetzten Gebiete zu halten. Die Ankündigung der Teilmobilmachung hatte bei vielen Russen Panik ausgelöst.

Laut Berichten von russischen Exilmedien sollen sogar bis zu eine Million Mann eingezogen werden.

Ein Mann eröffnet in Irkutsk in einem Rekrutierungsbüro das Feuer.
Ein Mann eröffnet in Irkutsk in einem Rekrutierungsbüro das Feuer.

© REUTERS / via Telegram @Taygainfo

Am Wochenende hatte es landesweit Proteste gegeben. In der Teilrepublik Dagestan im Kaukasus gingen Polizisten nach Angaben von Bürgerrechtlern mit Warnschüssen gegen Demonstranten vor.

Am Samstag wurden bei Anti-Kriegs-Protesten in über 30 russischen Städten mehr als 780 Menschen festgenommen, wie die unabhängige Organisation OVD-Info berichtete. Es gab zudem Anschläge auf Rekrutierungsbüros.

Mann zündet sich über Verzweiflung zu Einberufung selbst an

Aus Verzweiflung über seine drohende Einberufung zum Krieg gegen die Ukraine hat sich ein Mann Medienberichten zufolge sogar selbst angezündet. Das Medium „Nowaja Gaseta“ veröffentlichte am Montag das Video einer Überwachungskamera, auf dem zu sehen ist, wie sich eine Person mit einer Flüssigkeit übergießt und kurz darauf am ganzen Körper brennt.

Augenzeugen zufolge rief der brennende Mann am Busbahnhof in der Stadt Rjasan rund 200 Kilometer südöstlich von Moskau: „Ich will nicht an die Front!“ Polizisten sollen das Feuer gelöscht haben, und der Mann soll verletzt in ein Krankenhaus gekommen sein.

Über seinen genauen Gesundheitszustand gab es in russischen Medien unterschiedliche Angaben. Offizielle Mitteilungen zu dem Vorfall, der sich bereits am Sonntag ereignet haben soll, gab es zunächst nicht.

An den Grenzen zu Russlands Nachbarländern stauten sich lange Autokolonnen. Fluchtartig verlassen Tausende mit dem Auto das Land - etwa in Nachbarländer Kasachstan oder Georgien, wo keine Visa nötig sind. Flüge ins Ausland sind über Tage ausgebucht oder sehr teuer.

Die finnische Grenzschutzbehörde verzeichnete am Wochenende bei den Einreisen aus Russland einen Rekord für dieses Jahr. „Das letzte Wochenende war das verkehrsreichste Wochenende des Jahres an der östlichen Grenze“, sagte Mert Sasioglu vom finnischen Grenzschutz.

Nach Angaben der Behörde von Montag reisten fast 8600 Russen am Samstag über die Landgrenze ein, 4200 überquerten die Grenze in die andere Richtung. Am Sonntag kamen mehr als 8300 Russen an, fast 5100 verließen das Land.

Zwei Spitzenvertreter des russischen Parlaments und enge Verbündete von Präsident Putin zeigten am Montag Verständnis für die zahlreichen Beschwerden über die Kampagne zur Mobilisierung Hunderttausender Soldaten.

Walentina Matwijenko, die Vorsitzende des Föderationsrats, des Oberhauses des russischen Parlaments, verweist auf Berichte, wonach auch Männer einberufen wurden, die von der kürzlich verkündeten Teilmobilisierung eigentlich nicht betroffen sein dürften.

„Solche Auswüchse sind absolut inakzeptabel. Und ich halte es für absolut richtig, dass sie eine scharfe Reaktion in der Gesellschaft auslösen“, schreibt sie auf Telegram.

Die Regionalgouverneure Russlands seien für die Umsetzung verantwortlich. Sie müssten sicherstellen, dass die Kriterien der Teilmobilisierung vollständig und fehlerfrei beachtet würden.

Wjatscheslaw Wolodin, der Vorsitzende des Unterhauses, der Duma, wiederum erklärt, dass Fehler, sollten sie gemacht worden sein, korrigiert werden müssten. „Behörden auf allen Ebenen sollten sich ihrer Verantwortung bewusst sein.“ (Tsp, dpa)

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