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Rechtsextreme Strategien: Nazis machen Meinung im Netz

Betreiber von Blogs und Diskussionsforen kennen es zur Genüge: Geht es um einen Moscheebau oder um die Straffälligkeit von Ausländern, sind sofort Kommentatoren zur Stelle, die den Sachverhalt aus ihrer Sicht darstellen – mehr oder weniger unverhohlen rechtsextremistisch. Für die Neonazis ist das Internet ein wichtiger Ort geworden, um die eigene Sichtweise zu verbreiten.

In der realen Welt versuchen Rechtsextremisten Einfluss auf das Denken anderer zu nehmen, indem sie sich in Vereinen engagieren, Nachhilfe anbieten oder CD verteilen. Aber auch im Internet findet der "Kampf um die Köpfe" statt: Rechte tummeln sich bei Youtube, eröffnen Gruppen in Netzwerken oder suchen in Singlechats nach Gleichgesinnten. "Rechtsextremismus im Internet ist die moderne, multimediale Form des Rechtsextremismus", erklärt Michael Wörner-Schappert von jugendschutz.net, einer Einrichtung, die das Netz auf jugendgefährdende Inhalte hin überprüft.

Das Internet ist ein Spiegel der Gesellschaft, also erscheint es nur logisch, dass Rechtsextremisten auch im Internet unterwegs sind - im sogenannten "Weltnetz", wie sie es nennen. Foren und Communities haben den Vorteil, dass diese auch von Menschen genutzt werden, die zwar offen für rechte Ideologien sind, sie sich aber noch nicht so sehr zu eigen gemacht haben, um aus eigenem Antrieb rechte Internetseiten zu besuchen. Ziel der Rechten im Netz sei es, eine Art Gegenöffentlichkeit zu den etablierten Medien zu schaffen, glaubt Sebastian Brux, der den Blog "No Nazi" betreibt. "Das passt zur Wortergreifungsstrategie."

Schaffung einer Gegenöffentlichkeit

In einem der größten deutschen Nazi-Foren beschweren sich die User in einer Debatte zum Thema "Rückgewinnung der Medien / Beeinflussen der veröffentlichten Meinung", dass man ihnen ihrer Ansicht nach in den etablierten Medien keine Plattform biete und suchen nach Gegenmaßnahmen: "Es ist durchaus wahrscheinlich, das sich über das Weltnetz eine Art parallele Medienlandschaft aufbauen wird. An dieser Stelle würde mir jeglicher Pessimismus eher suspekt vorkommen", meint etwa ein User.

Auch wenn man von einer gezielten Strategie kaum sprechen kann, lassen sich gewisse Muster immer wieder finden. Margret Chatwin, die Betreiberin des umfassenden "Informationsdienstes gegen Rechtsextremismus", den es seit 2006 nicht mehr gibt, beschrieb das Vorgehen der Nazis im Netz schon 2002 wie folgt: "Zunächst tritt man als ‚Konservativer’, als überzeugter Demokrat auf. Dem folgt typischerweise der Einsatz von Vokabeln, die dem Sprachgebrauch eher ‚linker’ Kreise der 60er und 70er Jahre entnommen sind und deshalb zunächst unverfänglich wirken: Man gibt sich ‚kritisch’, ‚undogmatisch’, ‚fortschrittlich’, ist ‚Systemkritiker’, nennt sich ‚Nonkonformist’, ist besorgt um die ‚nationale Identität’ und will schließlich über ‚Tabuthemen’ sprechen."

Auf die sanfte Tour

Was vor sechs Jahren galt, gilt offenbar noch heute: Auch der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen kommt in der Veröffentlichung "Rechts – Extrem erfolgreich im Netz?" zu dem Schluss: "Mitunter bemühen sich Rechtsextremisten gezielt, ihre Positionen in nicht-extremistische Foren – möglichst unerkannt – einfließen zu lassen."

Der Journalist und Autor des NPD-Blogs Patrick Gensing fasst die Strategien der Neonazis im Web zusammen: Behauptungen über das politische System oder die Gesellschaft würden ohne Beleg aufgestellt, bei fast jedem Thema werde die viel zitierte "Ausländerkriminalität" angeführt, Rechtsextreme fühlten sich immer als Opfer und beklagten die fehlende Meinungsfreiheit in der Bundesrepublik.

"Gerade bei den fremden Seiten geht es darum, sich nicht sofort als Neonazi zu erkennen zu geben, sondern Fragen aufzugreifen, sie zu relativieren und in Frage zu stellen", erklärt jugendschutz.net-Mitarbeiter Wörner-Schappert: Rechtsextremisten seien in verschiedensten Foren unterwegs, von der Hausaufgaben-Seite bis hin zum Politik-Forum. Jugendliche, die etwa auf der Suche nach ergänzenden Informationen zum Geschichtsunterricht seien, würden sanft belehrt, ohne sie offensiv auf die eigene Seite ziehen zu wollen. "Wir haben Hinweise darauf, dass Jugendliche auf diese Art und Weise in die rechte Ecke abgerutscht sind" sagt Wörner-Schappert. Sie fühlten sich angenommen.

Meldestellen im Netz

In rechten Foren werden Tipps verbreitet, in welcher Form und mit welchen Argumenten die eigene Meinung am besten verbreitet werden kann. Immer wieder gibt es Beiträge, die mit gleichem Wortlaut in verschiedenen Foren auftauchen. "Manchmal gibt es sogar verschiedene Versionen, je nachdem in welchem Forum gepostet wird", schildert Wörner-Schappert seine Erfahrungen. Sebastian Brux kann das bestätigen: Er selbst hat erst kürzlich in seinem Blog einen Beitrag erhalten, der in der gleichen Form auch bei anderen Portalen aufgetaucht ist, zum Beispiel beim globalisierungskritischen Netzwerk Indymedia. Wenn auch nicht in diesem Fall, so vermutet er doch, dass Textbausteine immer wieder auch aus offline verfügbaren Texten entnommen werden, etwa der Broschüre "Argumente für Kandidaten und Funktionsträger" der NPD oder auch den Artikeln der "Jungen Freiheit".

Von einer gezielten Strategie der Rechten im Netz kann keine Rede sein. Aber: "Es ist deutlich leichter geworden, mit Rechtsextremisten in Kontakt zu kommen. Wenn jemand die Disposition zu rechtem Gedankengut hat, kann er in wenigen Mausklicks in Kontakt treten", fasst Wörner-Schappert zusammen.

Anlass zur Hilflosigkeit im Netz gibt es jedoch nicht. "Es genügt, eine Email an die Staatsanwaltschaft zu schicken, um eine Website zur Anklage zu bringen", erklärt der Blogger Sebastian Brux und ergänzt: "Wenn man lieber anonym bleiben möchte, gibt es ein Meldeformular von Hagalil, über welches man rechtsextreme und antisemitische Inhalte melden kann." Auch das neue Portal der "Zeit", Netz gegen Nazis, gibt Hilfestellung: Das Lexikon klärt Fragen rund um Rechtsextremismus und was offen bleibt, kann in der Community diskutiert werden.

Nicole Meßmer

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