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Martin Schulz hat gleich nach der Wahl die große Koalition kategorisch ausgeschlossen. Jetzt ist er gesprächsbereit.

© Hannibal Hanschke, Reuters

Regierungsbildung: Plötzliche Kehrtwende der SPD

Gleich nach der Wahl hat Martin Schulz eine große Koalition kategorisch ausgeschlossen. Jetzt sind die Sozialdemokraten doch zu Gesprächen bereit.

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Gegen Mitternacht ließ SPD-Generalsekretär Hubertus Heil Pizza kommen – für die Personenschützer vor der Tür genauso wie für die Mitglieder der engeren Parteiführung, die SPD-Ministerpräsidenten und die geschäftsführenden sozialdemokratischen Bundesminister drinnen. Geschlagene acht Stunden dauerte die Krisensitzung am Donnerstagabend im Willy-Brandt-Haus, in der die Führungsriege der deutschen Sozialdemokratie einen Ausweg aus völlig verfahrener Lage suchte. Am Ende stand fest: Die SPD wird sich Gesprächen mit der Union über die Bildung einer Regierung nicht mehr verschließen. Das kategorische Nein von Parteichef Martin Schulz zu einer Neuauflage der großen Koalition ist vom Tisch.

Und noch etwas ist seit der Nacht zum Freitag klar: Das letzte Wort hat die Basis. Sollte die SPD-Führung irgendwann eine Regierungsbeteiligung empfehlen, dann müssen die SPD-Mitglieder dies bestätigen. Ohne ihre Zustimmung gibt es keine Neuauflage der großen Koalition und auch keine Tolerierung einer unionsgeführten Minderheitsregierung. Das versprach Martin Schulz am Tag danach beim Auftritt vor der Presse in der Parteizentrale. Fragen waren nicht zugelassen. Dabei stellen sich etliche.

Glaubwürdigkeit beschädigt

Fraglich ist zum Beispiel, ob der in zehn Tagen beginnende SPD-Parteitag die plötzliche Kehrtwende mitmacht. In der SPD-Führung wird bereits mit Anträgen gerechnet, die auf eine knallharte Absage an die verhasste Koalition zielen. Fraglich ist auch, ob und wie der angeschlagene Vorsitzende das Wendemanöver übersteht. Schulz möchte auf dem Parteikonvent mit respektablem Ergebnis wiedergewählt werden. Doch seine Glaubwürdigkeit hat Schaden genommen.

Unbeugsam und prinzipientreu – so will der SPD-Vorsitzende gern gesehen werden, und für dieses Versprechen hat ihn die Basis bislang auch gefeiert. Doch dieses Bild steht nun infrage. Noch am vergangenen Montag hatte Schulz erklärt, die SPD stehe für eine große Koalition nicht zur Verfügung. Jetzt muss er seinen Anhängern erklären, warum plötzlich alles anders ist.

Wie bewegt man eine widerborstige Partei in Richtung große Koalition? Das Zauberwort lautet „Prozess“. „Wir haben keinen Zeitdruck“, erklärte dazu der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil, der in der Krisensitzung Willy-Brandt-Haus dabei war, am Freitag. „Ich möchte allen empfehlen, die Dinge nun in Ruhe zu klären. Es muss ergebnisoffene Gespräche geben.“ Möglichst alle mitnehmen, das ist das Ziel von Weil, der in Hannover eben erst zum Ministerpräsidenten einer großen Koalition gewählt worden ist. Ein Bündnis mit der Union ist auch sein Ziel für den Bund.

Kein Automatismus

Andere sind skeptischer. Da ist zum Beispiel Weils Kollegin aus Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer. In der Acht-Stunden- Sitzung in der Parteizentrale warnt sie vor dem Glaubwürdigkeitsverlust, den die SPD beim Gang in die große Koalition erleiden werde. Ähnlich äußern sich auch der Wortführer der Parteilinken, Ralf Stegner, und Parteivize Thorsten Schäfer-Gümbel aus Hessen. Sie pochen darauf, dass alle Alternativen ernsthaft und gründlich ausgelotet werden. Die Tolerierung einer unionsgeführten Minderheitsregierung gehört dazu. Aber auch über ein Bündnis von Union, SPD und Grünen, die sogenannte Kenia-Koalition, soll nach ihrer Meinung mit den potenziellen Partnern geredet werden.

Es gebe keinen Automatismus hin zu einer großen Koalition – so lautet nun die neue Haltelinie, auf die sich die Bremser und die Fürsprecher einer großen Koalition in der Nachtsitzung geeinigt haben. Das ist aus SPD-Sicht aus mehreren Gründen sinnvoll. Erstens soll das Versprechen die Basis besänftigen, an der sich viele überrumpelt fühlen. Zweitens lässt sich auf diese Weise der Preis hochtreiben, den die geschäftsführende Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihre Union für ein neues Bündnis mit der SPD zahlen sollen. Die große Koalition nicht als Ziel, sondern als allerletzter Ausweg vor Neuwahlen – das ist der Ansatz. Ob er über den Parteitag hinweg trägt, ist offen. Denn wenn Schulz kommende Woche auf Einladung des Bundespräsidenten im Schloss Bellevue mit Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer redet, könnte eine Dynamik in Gang kommen, die die große Koalition unausweichlich macht.

Verfügt Schulz noch über die nötige Autorität, um die SPD in das neue, alte Bündnis zu führen? In der Krisensitzung im Willy-Brandt-Haus macht der Vorsitzende seinem Unmut über die Kritik aus den eigenen Reihen und über die Gerüchte über seinen Rücktritt Luft. Diese Art von Umgang müsse er sich nicht bieten lassen, wird Schulz von Teilnehmern des Treffens zitiert. Daraufhin melden sich zwei wichtige Landesvorsitzende zu Wort, um Schulz Unterstützung zu versichern: der Niedersachse Weil und der Nordhrein-Westfale Michael Groschek. Offenen Widerspruch gibt es nicht. Alle wissen: Die Lage ist instabil genug.

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