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An diesem Ort wird in den kommenden Jahren die Garnisonkirche Potsdam wiederaufgebaut.

© Sebastian Gabsch/PNN

Rekonstruktion ist keine ideologische Restauration: Preußischer Barock ist besser als ahistorischer Beton

Wie viel Schuld trägt ein Ort, an dem Geschichte geschah? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Peter von Becker

Dem Bezirksbürgermeister von Berlin-Mitte hat sein Amtszimmer nicht mehr gefallen. Stephan von Dassel, ein Grüner, mochte in dem in den Jahren 1935–37 im grau-monumentalen Nazistil errichteten Rathaus am Mathilde-Jacob-Platz 1 nicht weiter in seinem zu allem noch nazibraun holzgetäfelten Büro ausharren. Er ist jetzt, man kann das verstehen, in einen anderen Raum gezogen. Sein Ex-Zimmer dient fortan als Ausstellungsraum zur Erinnerung an die NS-Geschichte. Mathilde Jacob, seit 1995 die Namenspatronin des Rathausvorplatzes, war übrigens eine Vertraute von Rosa Luxemburg und ist 1943 im KZ Theresienstadt gestorben.

Dassels Problem, womöglich in einem historisch kontaminierten Chefzimmer zu sitzen, hatte der vieljährige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble nicht. Er residierte im ehemaligen Reichsluftfahrtministerium von Hermann Göring. Als wir uns einmal in seinem vergleichsweise bescheidenen Büro trafen, meinte er auf die Bemerkung, dass dies ja wohl kaum Görings Raum gewesen sein könne, mit einem Lächeln: „Wir haben hier über zweitausend Räume und alle Ecken gründlich erforscht. Dennoch wissen wir bis heute nicht, wo Göring saß.“ Unglaublich, aber wahr. Auch tausend Filme, Fotos, Dokumente von und über den zweiten Mann des „Dritten Reichs“ geben offenbar keinen Aufschluss.

Vor genau 79 Jahren, am 12. November 1938, hatte Göring freilich in einen wohlbekannten Saal seines Ministeriums geladen. Dort wurde, nach den Pogromen des 9. Novembers, in Anwesenheit von Propagandaminister Goebbels und SD-Chef Heydrich die systematische Verfolgung und Vertreibung der Juden beschlossen. Die Vorstufe zur späteren Wannsee-Konferenz. Ort war der inzwischen elegant restaurierte heutige „Euro-Saal“, gern genutzt für internationale Treffen. Direkt unter ihm sind an der Außenfront Ecke Leipziger Straße/Wilhelmstraße seit 1953 Wandfliesen im Sozialistischen Realismus angebracht. Sie stehen unter Denkmalschutz – und erinnern mittelbar daran, dass Görings im Krieg wenig beschädigter Monumentalbau auch zu DDR-Zeiten weitergenutzt wurde. Als „Haus der Ministerien“, in dem Walter Ulbricht im Juni 1961 auf einer Pressekonferenz beteuerte, „niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“.

Jener Ulbricht, der 1950 auch das Berliner und zehn Jahre später das Potsdamer Stadtschloss, beide im Krieg von Bomben getroffen, aber nicht zerstört, trotz Protesten sprengen ließ. Wie auch 1968 die Garnisonkirche Potsdam. Indes hat die Stadt Potsdam im Zusammenwirken mit dem Land Brandenburg und Teilen eines neuen Stadtbürgertums das Schloss als Landtagsgebäude äußerlich rekonstruiert. Zudem soll der 90 Meter hohe Turm der Garnisonkirche als altes Wahrzeichen wiederaufgebaut werden.

Potsdam gewinnt sein altes schönes Stadtbild wieder

Das alles geschieht effektiver und mit mehr ästhetischem Gespür als Vergleichbares in Berlin. So ist Potsdam dabei, sein altes schönes Stadtbild wiederzugewinnen: nicht nur mit dem privat finanzierten Wiederaufbau des Palais-Museums Barberini, das als glänzende Replik zu einem Original sui generis geworden ist.

Natürlich gibt es auch hier Widerstände. Es wird gesagt, die Garnisonkirche, in der im März 1933 der berühmte Handschlag zwischen Hindenburg und Hitler stattfand, sei ein „Symbol des preußischen Militarismus“. Ebenso wie das Berliner Hohenzollernschloss.

Der Handschlag am „Tag von Potsdam“ dauerte freilich nur wenige Sekunden in der Geschichte einer Barockkirche, in der auch Friedrich der Große und Napoleon waren und Bach auf der Orgel spielte. Tragen solche Orte der Historie darum eine eigene „Schuld“? Wir sprechen hier nicht von Konzentrationslagern oder Gulags. Auch nicht vom russischen Inlandsgeheimdienst in der Lubjanka, die frisch geputzt mitten in Moskau thront: einst Stalins Verhaftungs- und Folterstätte, in deren Kellern Zehntausende erschossen wurden. Nein, es ist gut, dass in Berlin keine Reichskanzlei und kein Führerbunker mehr zu touristischem Grusel oder zu Wallfahrten laden. Aber sonst, mit welchem Maß wird hier gemessen?

Schon die DDR hatte mit Görings hässlichem, indes viel raren Raum bietenden Bau wenig Probleme. Heute sollten im Zweifel stadträumliche, also auch auf Schönheit und Funktionalität achtende Kriterien maßgeblich sein. Preußen, das sogar manchen guten Junker kannte und mehr Kultur hatte als seine ahistorischen Verächter, taugt da kaum mehr als Horrorbild. Eine Architektur des Schreckens folgte erst später. Als das Wort Betonkopf wahr wurde.

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