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Wahlen in der Türkei: Religiöse Verbindung

Die Christen in der Türkei unterstützen die islamische AKP von Premier Erdogan. Sie haben keine andere Wahl.

Auf den ersten Blick ist es überraschend: Die christlichen Minderheiten in der Türkei werden bei der heutigen Parlamentswahl eher nicht die säkularen Parteien, sondern die von ihren Gegnern als islamistisch kritisierte AK-Partei unter Premier Recep Tayyip Erdogan wählen. Anders als den anderen Parteien gehe es der AKP darum, die Probleme der Christen zu lösen, sagt Etyen Mahcupyan, der seit der Ermordung des armenisch-türkischen Journalisten Hrant Dink dessen Zeitung „Agos“ leitet: In den vergangenen Jahren kam der Widerstand gegen Reformen zugunsten der Christen in der Türkei vorwiegend von jenen Parteien, die sich selbst als laizistisch bezeichnen.

„Ganz klar“ sei die AKP der Favorit der türkischen Christen, sagt auch ein europäischer Diplomat. Die von frommen Moslems dominierte AKP hat zwar ein Problem mit der türkischen Staatsideologie, die eine strikte Kontrolle der Religion durch den Staat vorsieht, aber sie hat kein Problem mit den Christen. Da die Partei für ihre eigene – moslemische – Anhängerschaft mehr Religionsfreiheit anstrebt, befürwortet sie dasselbe Ziel für die christlichen Minderheiten.

Im türkischen Magazin „Tempo“ bezeichnete Mahcupyan die AKP als berechenbar und gesprächsbereit in ihrem Verhältnis zu den Christen. Darin unterscheide sich der religiös-konservative Erdogan von der politischen Konkurrenz. Als das Parlament in Ankara ein neues Stiftungsgesetz debattierte, um die Lage der Christen zu verbessern, schlug der Novelle heftiger Widerstand entgegen – von der säkular-nationalistischen Partei CHP. Daher werden die meisten der etwa 100 000 Christen in der Türkei die AKP wählen. Bei den Armeniern, mit 80 000 Menschen die bei weitem größte christliche Gemeinschaft in der Türkei, dürften es etwa 60 Prozent sein, schätzt Mahcupyan. Das sind 20 Prozentpunkte mehr, als Erdogan im Landesdurchschnitt erwarten kann.

Allerdings hat auch die Sympathie der AKP für die Christen enge Grenzen. So warnten einige ihrer Spitzenpolitiker in den vergangenen Jahren wiederholt vor der angeblichen Gefahr, die von christlichen Missionaren ausgehe. In einem zu 99 Prozent moslemischen Land sind solche Warnungen zwar lächerlich, aber für die Christen dennoch gefährlich: In der Türkei existiert eine gewaltbereite Szene, in der sich nationalistisches und islamistisches Gedankengut zu einem militanten Gebräu vermischt. Die Christenmorde von Malatya im April waren ein Anzeichen dafür. Dass viele Christen trotzdem die AKP wählen werden, hat viel mit der Europapolitik des Premiers zu tun. Parteien wie die CHP oder die rechtsnationale MHP fordern mehr Distanz zu Europa und deuten an, dass sie als Regierungsparteien einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen in Kauf nehmen würden. Genau das wäre für die türkischen Christen aber eine Katastrophe. Für sie ist es entscheidend, dass Europa über das Instrument der Beitrittsverhandlungen Ankara zu weiteren Reformen antreiben kann. Mahcupyan bringt es auf eine einfache Formel: Für die Christen in der Türkei sei Erdogan „ohne Alternative“.

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