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Politik: Respekt bitte

Von Wolfgang Schäuble

Wie leicht Emotionen sich gegen Vernunft doch durchsetzen können. Die Entwicklung der Beziehungen zwischen Deutschen und Polen gehörte zum Erfreulichsten seit der Wende. Und nun fordert der Sejm nahezu einstimmig die polnische Regierung auf, Reparationsforderungen gegen Deutschland zu erheben. Umgekehrt fühlen die Polen sich von Entschädigungsklagen einer Organisation bedroht, die sich Preußische Treuhand nennt, und die erst durch die polnischen Proteste in Deutschland breitere Bekanntheit erlangt hat.

Die Folgen von Unrecht und Gewalt wirken fort. Welches Unrecht kann wieder gutgemacht werden, welches nie? Wer rückwirkend die Verletzung von Rechten ungeschehen machen will, wird im Ergebnis immer wieder neuen Streit und neue Bitterkeit auslösen. Deshalb ist Ausgleich der bessere Weg und vor allem Versöhnung. Das erfordert die Kraft zum gemeinsamen Blick nach vorne, Besonnenheit auf allen Seiten und Vorkehrungen, die Rückfälle verhindern.

Wie gut, dass es die europäische Einigung gibt. Manchmal wird vergessen, wie viel sie dafür leistet, die Eskalation von Emotionen im Streit zu verhindern. Im früheren Jugoslawien war zu erleben, wie schnell alles außer Kontrolle geraten kann. Wo Grenzen nicht mehr trennen, braucht um ihren Verlauf nicht mehr gestritten zu werden. Und wenn alle Hoffnung auf eine gemeinsame, bessere Zukunft haben, lassen sich fortwirkende Folgen von Unrecht aus der Vergangenheit leichter verschmerzen.

Aber gegenseitiger Respekt gehört auch dazu. Wenn sich schon Gerechtigkeit für die Vergangenheit nicht erreichen lässt, dann ist Gleichberechtigung in Gegenwart und Zukunft umso wichtiger. Mehr als die Debatte um ein Zentrum gegen Vertreibungen hat in Polen Besorgnis hervorgerufen, dass man sich in der erweiterten Europäischen Union vor allem von Deutschland und Frankreich nicht als gleichwertiger Partner behandelt sieht. Nichts spricht dagegen, dass sich der französische Staatspräsident und der Bundeskanzler mit dem russischen Präsidenten treffen. Aber wenn solche Treffen sich durch Wiederholungen zu einer Institution zu entwickeln scheinen, muss man verstehen, welch tiefe Besorgnis das gerade in Polen weckt. Geschichtliche Erinnerung wirkt fort, und das gebietet Sensibilität. Im Weimarer Dreieck sollten Polen, Deutschland und Frankreich enger zusammenfinden. Das legt den Gedanken nahe, den Dialog mit Russland im Rahmen dieses Weimarer Dreiecks zu führen. Vielleicht würde sich auch Großbritannien daran beteiligen.

Der europäische Rahmen bietet auch eine Chance, dass Versöhnung und nicht neue Verletzungen gefördert werden. So wächst Vertrauen. Und das ist die beste Antwort auf Unrecht in der Vergangenheit. Dazu sind Vernunft und Sensibilität notwendig, auf allen Seiten.

Der Autor ist Mitglied des CDU-Präsidiums und schreibt diese Kolumne im Wechsel mit Antje Vollmer und Richard Schröder.

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