zum Hauptinhalt
Frauke Brosius-Gersdorf wird keine Bundesrichterin.

© imago/Jürgen Heinrich

Rückzug von Frauke Brosius-Gersdorf: Ein Ende mit vielen Zweifeln

Die Juristin hatte keine Hoffnung mehr, dass die Union ihren Widerstand gegen sie aufgeben könnte. Dafür ist aber wohl nicht nur die rechtsextreme Schmutzkampagne verantwortlich.

Sebastian Leber
Ein Kommentar von Sebastian Leber

Stand:

Nach fünf Wochen hat Frauke Brosius-Gersdorf aufgegeben. Für die Wahl als Richterin des Bundesverfassungsgerichts stehe sie nicht länger zur Verfügung, ließ sie am Donnerstag über Anwälte erklären. Den Schritt begründet sie unter anderem mit der Erkenntnis, dass die Union ihre Wahl ausschließt.

Zunächst das Offensichtliche: Brosius-Gersdorf ist zweifellos Opfer einer perfiden Schmutzkampagne geworden. Sie wurde von Rechtsextremen, darunter AfD-Bundestagsabgeordneten sowie organisierten Hetzern im Netz, diffamiert und mit absurden Lügen überzogen. Weder ist die Potsdamer Staatsrechtsprofessorin „ultralinks“ noch wollte sie jemals Abtreibungen bis in den neunten Monat legalisieren. Natürlich nicht. Die Urheber und alle Beteiligten dieser Kampagne haben der Kandidatin enormes Unrecht angetan.

Die Szene der Rechtsextremen rühmt sich offen mit dem angeblichen Erfolg, die Kandidatin verhindert zu haben. Manche beratschlagen schon über die Wahl ihres nächsten Mobbing-Opfers. Ann-Katrin Kaufhold zum Beispiel, die zweite Richterkandidatin der SPD. Doch nur weil Rechtsextreme mit einem vermeintlichen Coup prahlen, bedeutet das nicht, dass ihre Kampagne der entscheidende Grund für den Widerstand in der Union war. Ihr Anteil ist umstritten und wird sich wohl nie eindeutig klären lassen.

Offensichtlich ist nämlich ebenso: In der Unionsfraktion gab es auch ohne die Hetze der Rechtsextremen massiven Widerstand gegen Brosius-Gersdorf – vor allem wegen ihrer liberalen Haltung zu Schwangerschaftsabbrüchen. Die Professorin hatte sich dafür ausgesprochen, Eingriffe bis zur einschließlich zwölften Woche zu entkriminalisieren und grundsätzlich als „rechtmäßig und straffrei“ zu werten. Bislang sind diese rechtswidrig, bleiben aber unter bestimmten Bedingungen straffrei. Viele mögen diesen Unterschied für eine Nuance halten oder auch für eine längst überfällige Reform. Für den katholischen Flügel in der Union bedeutet er einen Tabubruch.

Ihrem Doktorvater erging es genauso

Hält man diese Abgeordneten – darunter übrigens flammende AfD-Gegner – für mündige Parlamentarier, muss man das Motiv ihrer Ablehnung zumindest zur Kenntnis nehmen. Dafür spricht auch, dass 2008 bereits Horst Dreier, der Doktorvater von Brosius-Gersdorf, Richter in Karlsruhe werden wollte und ebenfalls von der Union verhindert wurde – wegen Dreiers Position zum Embryonenschutz bei der Stammzellforschung. Damals gab es noch keine AfD und keine viralen Hetzkampagnen, jedoch bereits einen verhärteten Konflikt um den Schutz ungeborenen Lebens.

Wie viele Unionsabgeordnete ließen sich durch orchestrierte Massenmails beeinflussen und spielen diese Beeinflussung jetzt herunter?

Sebastian Leber, Tagesspiegel-Reporter

Hätte der Widerstand der Katholiken auch ohne rechtsextreme Manipulationsversuche ausgereicht, um die Unionsfraktion gegen ihre Führung rebellieren zu lassen und Brosius-Gersdorf kategorisch abzulehnen? Wie viele Unionsabgeordnete ließen sich durch orchestrierte Massenmails beeinflussen und spielen diese Beeinflussung jetzt herunter? Hätte der Artikel der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, der die Diskussion um Brosius-Gersdorf Ende Juni anstieß und die Rechtsextremen überhaupt erst auf die Idee zu ihrer Kampagne brachte, ohne Zutun dieselbe Dynamik entfacht? Zumindest letzteres darf man bezweifeln.

Neben ihrer Positionierung in der Abtreibungsfrage spricht ein zweiter Grund dafür, dass Brosius-Gersdorf auch langfristig der Unionsfraktion nicht vermittelbar gewesen wäre: die eklatanten Übereinstimmungen in den wissenschaftlichen Arbeiten des Ehepaars Gersdorf. Denn leugnen lassen sich diese nicht. Und keiner der beiden hat, obwohl inzwischen Wochen vergangen sind, bislang nur halbwegs schlüssig erklärt, wie es zu diesen Übereinstimmungen kommen konnte.

Damit ist nicht gemeint, dass die Mehrheit der Unionsabgeordneten diese Auffälligkeiten tatsächlich als solches Vergehen werten, dass eine Richterwahl grundsätzlich undenkbar ist. Sondern dass sich dieses Argument zur Blockade der Wahl, das den Abgeordneten vor einem Monat eher zufällig in die Hände fiel, in den kommenden Wochen nicht in Luft aufgelöst hätte. Eher im Gegenteil.

Die Union muss jetzt aufklären, in welchem Ausmaß sich ihre Abgeordneten bewusst oder unbewusst von rechtsextremen Hetzern beeinflussen ließen. Vor allem muss sie Vorkehrungen treffen, dass solche Kampagnen künftig frühzeitig als solche erkannt werden. Das ist sie auch ihren eigenen Abgeordneten und deren – zum Beispiel katholisch geprägten – Positionen schuldig.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })