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Wagner-Chef Prigoschin wird von Kriminellen angefeindet.

© Imago/Itar-Tass

Russische Gangster schmähen Wagner-Chef: „Kein Mann mit Selbstrespekt würde in der Ukraine Frauen und Kinder töten“

Zwei russische Kriminelle kritisieren die Rekrutierung von Gefängnisinsassen für den Ukraine-Krieg. Dabei attackieren sie den Chef der Wagner-Söldner, Jewgeni Prigroschin. Was steckt dahinter?

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Sascha Kurara, so lautet der Name des Mannes, der den Chef der berüchtigten Söldnergruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, hart angeht. Knapp die Hälfte seiner 50 Lebensjahre verbrachte Kurara im Gefängnis – nach eigenem Bekunden zum Teil zusammen mit Prigoschin.

In einem Video, das gerade in den Sozialen Medien kursiert, berichtet Kurara, der heute gefürchtete Wagner-Chef habe in der Gefängnishierarchie ganz unten gestanden. „Er hatte seinen Platz und kannte seinen Platz, und er hat seinen Platz akzeptiert“, sagt Kurara. Kurara behauptet auch, Prigoschin habe ihn mehrfach oral befriedigt. In dem Video beleidigt Kurara Prigoschin zudem homophob.

Mit diesen Aussagen, ob sie nun stimmen oder nicht, will Kurara Prigoschin demütigen. Homosexuelle werden in Russland gesetzlich diskriminiert und auch in der Gesellschaft geächtet. Homophobe Beleidigungen zur Abwertung des Gegenübers sind keine Seltenheit. Gleichzeitig sind Vergewaltigungen unter männlichen Gefängnisinsassen üblich und Teil brutaler Machtdemonstrationen unter den Häftlingen.

Opfer solcher Vergewaltigungen werden häufig ausgegrenzt und verprügelt. Sie gelten als „Beleidigte“ oder auch „Hähne“, Gefängnislang für die Untersten in der Hierarchie.

Die Aussagen Kuraras sind insofern brisant, als dass sie nicht nur ein Angriff auf den Wagner-Chef persönlich sind, sondern auch eine Kritik am russischen Krieg in der Ukraine. Prigoschins Söldner kämpfen dort an der Seite russischer Soldaten. Aufgrund der hohen Verluste hat Prigoschin inzwischen begonnen, russische Gefängnisinsassen für seine Söldnerarmee zu rekrutieren.

Russische Unterwelt kritisiert Krieg in der Ukraine

Kurara warnt in seinem Video Häftlinge davor, der Wagner-Armee beizutreten. „Ihr wollt eine Amnestie? Ihr wollt vorzeitige Freilassung?“, fragt Kurara. Und er schildert dann mit drastischen Worten, welche sexuellen Erniedrigungen die Söldner dann angeblich erwarten. In einem weiteren Video beschimpft Kurara Wagner-Söldner.

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Als Beleg für seine Glaubwürdigkeit und sein Ansehen in der Unterwelt hält Kurara seine zahlreichen Tattoos in die Kamera. So hat er etwa Epauletten auf die Schultern tätowiert, was wohl einen hohen Rang in der Welt der Kriminellen symbolisiert.

Auch ein mutmaßlicher Gangsterboss, der sich Grischa Moskowsky nennt, sagte neulich in einem Video, dass kein „Mann mit Selbstrespekt in die Ukraine gehen würde, um Frauen, Kinder und Alte umzubringen“. Ein Zeichen dafür, dass in der russischen Unterwelt der Krieg in der Ukraine sehr kritisch gesehen wird.

Prigoschin wird nachgesagt, nach mehr Macht innerhalb der russischen Eliten zu streben. Als Beleg dafür wird etwa gewertet, dass er sich immer häufiger mit brisanten Aussagen zu Wort meldet. So gab er jüngst zu, dass Russland sich in die US-Wahlen 2016 eingemischt habe. Sind die Videos aus dem kriminellen Milieu also auch ein Versuch, Prigoschins Machtbestrebungen zu durchkreuzen?

Alte Aussagen Prigoschins über „Hähne“ bei Wagner

Vor dem Hintergrund der Videos wurden in sozialen Netzwerken frühere Aussagen Prigoschins erneut diskutiert, sie würden jetzt in neuem Licht erscheinen, heißt es unter Kriegskommentatoren. Mitte November veröffentlichte Prigoschins Pressedienst auf Telegram Antworten auf Fragen eines lokalen russischen Online-Portals für die Region Tjumen in Westsibirien.

Ein Häftling aus Tjumen soll sich darüber beschwert haben, dass er nicht auf die Liste für die Rekrutierung gekommen sei. Er soll auch als „Beleidigter“, als ein im Gefängnis Vergewaltigter, gegolten haben. Auf die Frage hin, ob das stimme und ob separate Einheiten für rekrutierte „Beleidigte“ oder „Hähne“ existieren würden, antwortete Prigoschin seinem Pressedienst zufolge:

„Die Gefängnisordnung besagt, dass man Menschen mit niedrigem sozialem Status nicht die Hand geben, ihnen keine Gegenstände abnehmen oder mit ihnen auf demselben Gang oder in einer Koje schlafen darf. Mit anderen Worten, alle oben genannten Handlungen sind ‘schmutzig’, es ist eine Schande, dies zu tun. Die übrigen Häftlinge leben gemeinsam, während die ‘Hähne’ davon getrennt sind.“

Wagner schlägt eigene ‚Hahnen-Division‘ für Ukraine-Krieg vor

Diese Konventionen seien auf dem Schlachtfeld allerdings hinderlich. Um „diese Unannehmlichkeiten zu vermeiden“, so Prigoschin weiter, „nehmen wir keine ‚Hähne‘ in die Wagner PMC auf“. Wagner habe „empfohlen, aus ihnen eine eigene ‚Hahnen-Division‘ zu bilden“. Dies würde die Moral „zweifellos“ steigern. Ob Prigoschin einst selbst im Gefängnis zur untersten Schicht gehörte, wie Sascha Kurara behauptet, ist unklar. Ein Beweis dafür sind seine obigen Aussagen nicht zwangsläufig.

Prigoschin wurde 1981 wegen Betrugs und Raubüberfällen zu 13 Jahren Haft verurteilt, kam allerdings bereits nach neun Jahren frei. Danach betrieb er Restaurants in Sankt Petersburg, in denen der russische Präsident Wladimir Putin gerne dinierte.

Putin soll das Essen bei Prigoschin so gut geschmeckt haben, dass dessen Cateringunternehmen Aufträge zur Belieferung Sankt Petersburger Schulen erhielten. Seitdem wird Prigoschin „Putins Koch“ genannt. Doch ob sich Prigoschin und Putin tatsächlich auf diese Weise kennengelernt haben, ist nicht ausreichend belegt, russische Journalist:innen vermuteten, dass sich die beiden schon vorher kannten.

Der Unternehmer und Ex-Häftling Prigoschin gilt zudem als Eigentümer des „Internet-Forschungsinstituts“, bekannt als eine Troll-Fabrik in Petersburg. Und seit dem Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine tritt Prigoschin immer häufiger ganz unverhohlen als Gründer und Finanzier der Söldnergruppe Wagner in Erscheinung, im September gab er die Existenz der Truppe und seine Führungsrolle offiziell zu.

Private Söldnerunternehmen sind nach russischem Recht eigentlich verboten. Die Schaffung der Wagner-Gruppe wurde allerdings von der russischen Regierung beauftragt, die Truppe soll illegale, verdeckte Operationen durchführen, die nicht auf den russischen Staat zurückfallen sollen. Mit einer Gesetzesänderung zur Militärdienstpflicht in Russland hatte Putin 2017 eine Grauzone für private Militärunternehmen geschaffen.

Die Wagner-Söldner gelten als besonders brutale und unberechenbare Kämpfer. Sie sollen an zahlreichen Kriegsverbrechen unter anderem in Syrien und aktuell in der Ukraine beteiligt gewesen sein. (Tsp)

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