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Ein Mitglied einer russischen Brigade in der Nähe von Odessa

© IMAGO/ITAR-TASS/Sergei Bobylev

Russischer Deserteur über den Krieg: „Das ist das Schlimmste und Dümmste, was unsere Regierung hätte tun können“

Pavel Filatyev war Fallschirmjäger in der russischen Armee. Dann floh er ins Ausland. Im CNN-Interview spricht er über die Desillusionierung der Einheiten.

Ein russischer Fallschirmjäger und Deserteur hat die Begründung des Kremls für den russischen Angriff auf die Ukraine als Lüge bezeichnet. „Wir sehen die Gründe, mit denen uns die Regierung (den Krieg) zu erklären versucht, nicht ein. Das ist alles eine Lüge“, sagte Pavel Filatyev in einem Interview mit dem US-amerikanischen Nachrichtensender CNN.

„Wir haben verstanden, dass wir in einen ernsten Konflikt hineingezogen wurden, in dem wir einfach nur Städte zerstören und niemanden wirklich befreien“, sagte der 33-Jährige weiter. „Wir zerstören nur das friedliche Leben. Diese Tatsache hat unsere Moral immens beeinflusst.“ Die Soldaten hätten laut Filatyev „das Gefühl, dass wir nichts Gutes tun.“

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Vor zwei Wochen postete der ehemalige Fallschirmjäger aus dem 56. Regiment der russischen Luftstreitkräfte sein über 100-seitiges Tagebuch gegen den russischen Angriffskrieg auf dem sozialen Netzwerk VKontakte, dem russischen Äquivalent zu Facebook. Danach floh er aus Russland. Wegen einer Verletzung war der 33-Jährige zuvor von der Front evakuiert worden.

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Laut CNN ist Filatyev die erste Militärperson aus Russland, die sich kritisch gegen die russische Invasion geäußert und das Land verlassen hat. Seine Einheit, die auf der Krim stationiert war, wurde früh in den Krieg geschickt, um die Region Cherson einzunehmen.

Dem Fallschirmjäger zufolge sei die Einheit aber schlecht ausgerüstet worden, auch eine Erklärung für die Invasion gab es offenbar kaum. „Unsere Kasernen sind etwa 100 Jahre alt und können nicht alle unsere Soldaten aufnehmen“, sagte Filatyev. „Alle unsere Waffen stammen noch aus der Zeit in Afghanistan“.

Der Einheit hätte es an Drohnen und weiteren unbemannten Luftfahrzeugen gefehlt. Zudem seien sich sowohl die Soldaten als auch die Befehlshaber nicht sicher gewesen, was sie in der Ukraine tun sollten.

Weite Zerstörung im Ukraine-Krieg

© Vadim Ghirda/AP/dpa

„Mehrere Tage nach der Einkesselung von Cherson hatten viele von uns keine Lebensmittel, kein Wasser und keine Schlafsäcke dabei“. Die Soldaten hätten nachts aufgrund der Kälte nicht schlafen können. Filatyev beschreibt: „Wir suchten nach Müll und Lumpen, um uns einzuwickeln und warm zu halten.“

Die Stadt Cherson war eine der ersten Städte in der Ukraine, die seit Beginn der Invasion fast vollständig eingenommen wurde. Mit der Verlagerung der Offensive in den Süden des Landes kämpfen ukrainische Truppen derzeit um die Rückeroberung der Stadt.

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Nach seiner Desertion tue sich Filatyev schwer, die Vision hinter dem nun bereits sechs Monate andauernden Angriffskrieg zu verstehen: „Jetzt, wo ich da raus bin und keine Waffe mehr habe, denke ich, dass dies das Schlimmste und Dümmste ist, was unsere Regierung hätte tun können.“

Der 33-Jährige sei entsetzt über die Geschehnisse in seiner Heimat. „Alles ist zerstört, korrupt“, sagte er gegenüber CNN. „Ich weiß nicht, wohin die Regierung uns führen will. Was ist der nächste Schritt? Ein Atomkrieg?“

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Vor seiner Flucht hatte Filatyev in Russland vereinzelte Medieninterviews geführt. Dass der Kreml sich an ihm rächen könnte, hält der Deserteur für wahrscheinlich.

„Sie werden mich entweder in ein Gefängnis stecken … oder sie werden mich einfach zum Schweigen bringen, indem sie mich beseitigen“, so der Ex-Fallschirmjäger. „Ich sehe da keinen anderen Weg heraus. Wenn es so kommt, dann kommt es so“.

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