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Nach ihrer Rede gab es Buhrufe und Applaus - Sahra Wagenknecht in Leipzig.

© Britta Pedersen/dpa

Linken-Parteitag in Leipzig: Sahra Wagenknecht, die Aufrührerische

Die Turbulenzen nach ihrer Parteitagsrede machen deutlich: Sahra Wagenknecht spielt bei den Linken nach wie vor eine Sonderrolle.

Bei Sahra Wagenknecht ist alles anders. Die anderen Spitzenpolitiker der Linken mischen sich beim Parteitag in Leipzig ganz selbstverständlich unters Volk, unter die einfachen Mitglieder und Gäste. Die Parteiprominenz steht ganz selbstverständlich zwischen den Tischreihen im Delegiertenbereich oder am Tresen im Café und plaudert mit Parteifreunden, Kollegen und Journalisten.

Wagenknecht hingegen bekommen die Genossen drei Tage lang kaum zu Gesicht. Zwar hat sie beim Parteitag einen Platz in der ersten Reihe, doch der bleibt die meiste Zeit leer. Betritt sie dann doch einmal die Halle, schreitet sie mit erhobenem Kopf durch den Raum, wirkt unnahbar. Im Schlepptau hat sie eine stattliche Entourage: Mitarbeiter und Vertraute, Bodyguards in dunklen Anzügen mit Knopf im Ohr. Ein Kamerateam folgt ihr auf Schritt und Tritt. Dass Wagenknecht in ihrer Partei eine Sonderrolle hat, ist überdeutlich.

Die Anspannung im Saal bricht sich Bahn

Das wird auch während ihre Rede am letzten Tag des Parteikonvents klar. Nach dem monatelangen parteiinternen Streit um die Flüchtlingspolitik war Wagenknechts Ansprache lange erwartet worden. Jetzt bricht sich die Anspannung unter den Zuhörern Bahn: Es gibt Aufruhr im Publikum, Buhrufe und Zwischenapplaus wechseln sich ab. Wagenknechts Auftritt spaltet den Parteitag.

Dabei beginnt die Fraktionschefin ihre Rede unaufgeregt. Sie spricht Themen an, die in der gesamten Linken auf Zustimmung treffen. Sie geht mit der Bundesregierung genauso hart ins Gericht wie mit Donald Trump oder der AfD. „Wir müssen den Vormarsch der Rechten stoppen!“, ruft sie. Sie spricht von Friedenspolitik und höheren Löhnen. Fast alle im Publikum klatschen begeistert, als Wagenknecht die Seele der Linkspartei streichelt.

Hat die Parteileitung sie absichtlich vorgeführt

Doch dann bringt Sahra Wagenknecht einiges durcheinander auf diesem Parteitag. Ihre Gegner werden später sagen, sie habe die Mehrheit der Delegierten vor den Kopf gestoßen. Deshalb habe Wagenknecht im Anschluss Kritik einstecken müssen und ihre Rede den Leipziger Parteitag kurzfristig ins Chaos gestürzt. Ihre Unterstützer meinen hingegen, die Parteitagsleitung habe die Fraktionschefin absichtlich vorgeführt, sozusagen eine Inszenierung veranstaltet, um Wagenknecht zu schaden.

Dass ihre Rede für Unruhe sorgt, dafür ist die prominente Linken-Politikerin aber zunächst selbst verantwortlich. Versöhnlich ist ihre Ansprache nicht gerade – auch wenn sie oft die Einigkeit der Partei beschwört. An vielen Stellen teilt sie aus oder bekräftigt ihre Positionen, die zuletzt für viele Kontroversen gesorgt haben. Sie geht in die Offensive: Der Linken fehle es an einer „guten Diskussionkultur“. Natürlich seien parteiinterne Debatten gewünscht. „Aber warum können wir das nicht sachlich tun, ohne Diffamierungen?“ An dieser Stelle stöhnen viele Delegierte. „Was ich erwarte ist eine solidarische Diskussion“, sagt Wagenknecht kurz darauf, ihr Tonfall ist vorwurfsvoll.

Ihre Werbung um Afd-Wähler steht in der Kritik

Die Kritik an der aus ihrer Sicht mangelhaften Debattenkultur ist ein eindeutiger Angriff auf Wagenknechts parteiinterne Gegner. Die haben ihr in der Vergangenheit immer wieder eine Nähe zur Rechten unterstellt, weil sie eine restriktivere Migrationspolitik will als viele in ihrer Partei. Auch dass Wagenknecht offensiv um AfD-Wähler werben möchte, sehen ihre parteiinternen Gegner kritisch.

Wer erwartet hat, dass Sahra Wagenknecht den Leipziger Parteitag nutzen würde, um hier auf ihre Kritiker zuzugehen, der wird enttäuscht. Von den Vorwürfen der Rechtslastigkeit zeigt sich die Fraktionschefin schwer genervt. Ihr eine Nähe zu AfD und Co. zu unterstellen, „ist das Gegenteil einer solidarischen Debatte“, sagt sie.

Die anderen seien zu abgehoben

Auch bekräftigt sie indirekt, was sie schon seit Monaten wiederholt: Immer wieder hat sie der Linken vorgeworfen, zu sehr das urbane, grüne Milieu in den Blick zu nehmen. Die Linke müsse aber auch andere Wählerschichten wieder stärker ansprechen, fordert sie jetzt erneut. „Wenn mehr Arbeitslose und Arbeiter AfD wählen als uns, dann können wir uns nicht zurücklehnen und zur Tagungsordnung übergehen“, sagt sie. In solchen Wählergruppen müsse die Linke stark werden. „Das wird uns nur gelingen, wenn wir ihre Sprache sprechen.“ Dabei schwingt ein alter Vorwurf an ihre Gegner mit: Die seien zu abgehoben, zu sehr auf die Zustimmung der Akademiker in der Bevölkerung fixiert – und zu sehr am Thema „offene Grenzen“ interessiert. Und das sei im Grunde „neoliberal“, schiebt sie mit einem Zitat von Bernie Sander hinter.

So arbeitet sich Wagenknecht in ihrer Rede an den alten Konfliktlinien ihrer Partei ab. „Lasst uns die Grabenkämpfe beenden“, fordert sie zwar am Schluss der Ansprache. Doch dass daraus so schnell nichts wird, zeigt sich, als Wagenknecht fertig ist mit der Rede.

Die Diskussion um die Migrationspolitik geht weiter

Zwar springen viele Delegierte im Anschluss begeistert auf, Wagenknecht bekommt stehende Ovationen. Doch viele bleiben auch sitzen, mit unzufriedenen Gesichtern. Dann beantragt jemand plötzlich eine Debatte, um über Wagenknechts Rede zu diskutieren. Damit gerät der gesamte Parteitag in Aufruhr, die Rede der Fraktionsvorsitzende wirft alles durcheinander. Keine andere Ansprache hatte bei diesem Parteitag einen ähnlichen Effekt. Mit der Mehrheit von nur einer Stimme beschließen die Delegierten schließlich, eine „begrenzte Debatte“ von einer Stunde anzusetzen. Die Aussprache endet ergebnislos – dass die Diskussion um die Migrationspolitik in der Linken damit tatsächlich begrenzt ist, darf bezweifelt werden.

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