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Nach Attentat von Tucson: Sarah Palin lädt nicht nach

Die konservative Hardlinerin Sarah Palin gibt sich nach dem Blutbad von Tucson betont defensiv. Ein falsches Wort könnte ihre Karriere beenden.

Sarah Palin ist es gewohnt, den Ton zu setzen, wenn sie zu Streitfragen spricht. Man kann sie nicht ignorieren, ob Freund oder Gegner. Seit drei Tagen wird jedoch über die 46-jährige Republikanerin und ihre Rolle in einer Tragödie geredet, die die Nation bewegt, ohne dass sie in gewohnter Weise zum Angriff blasen kann. Was ist die richtige Tonlage, um sich gegen den Vorwurf der Mitschuld am Blutbad in Tucson zu wehren? Ein falsches Wort kann unabsehbare Folgen haben. Das ist sie nicht gewohnt. Ihre Zukunft steht auf der Kippe, voran eine mögliche Präsidentschaftskandidatur 2012. Es sind solche unerwarteten und unplanbaren Momente, die im amerikanischen Verständnis darüber entscheiden, ob eine Person das Zeug zum „Leader“ hat, zu einer wahren Führungsfigur.

Den Wahlkampf um die Kongresswahl 2010 hat sie mit Symbolen und Worten aus der Sprache von Jagd und Krieg geführt. Sie markierte 20 ausgewählte Wahlkreise von Demokraten mit Fadenkreuzen, darunter den von Gabrielle Giffords. Sie erklärte ihre Gegner zum „Target“: ein doppeldeutiges Wort, das auch das Objekt im Zielfernrohr einer Waffe meinen kann. Als die Demokraten für die Gesundheitsreform stimmten, darunter Giffords, forderte Palin ihre Anhänger auf: „Don’t retreat – RELOAD!“ Nicht zurückweichen, NACHLADEN! Damit hat sie ihre Anhänger begeistert und mobilisiert, zur Wahl zu gehen. Für rechte Kommentatoren wurde sie zur Heldin mit einem Patentrezept für den Wahlsieg.

Seit dem Blutbad in Tucson werden diese Parolen in anderem Licht betrachtet. Hat diese militaristische Sprache den Täter zu den Schüssen auf Giffords und ihre Anhänger vor einem Einkaufszentrum in Tucson angestiftet?

Die Frage nach einem ursächlichen Zusammenhang hat die amerikanische Öffentlichkeit drei Tage lang intensiv diskutiert und inzwischen mit einem klaren Nein beantwortet. Hätte sich der Schütze als Anhänger der Tea Party oder Palins entpuppt, wäre sie erledigt. Doch die Ermittler entdeckten keinen einzigen Hinweis, dass Jared L. von ihrer Rhetorik beeinflusst war. Sie fanden Belege, die ihn als geistig verwirrten Einzeltäter ohne parteipolitisches Motiv zeigen. In den USA hält nur noch eine Minderheit im linken Spektrum an der Anklage fest, Palin sei mitschuldig durch ihre Sprache.

Aus dem Schneider ist die ungekrönte Königin der rechtskonservativen Tea Party damit aber nicht. Sie wägt ihre Schritte vorsichtig ab. Die Karten mit den Fadenkreuzen hat sie von der Webseite genommen. Weicht sie zurück, statt nachzuladen? Das wäre eine neue Seite.

Wer in der US-Politik ganz nach oben will, wird früher oder später mit solchen Wendepunkten konfrontiert. Ein zuvor verlässlicher Trumpf wird plötzlich zur Belastung. Barack Obamas Entscheidung, einer schwarzen Kirche in Chicago beizutreten, die zugleich eine Brücke zu weißen Amerikanern bildet, half ihm, Anhänger zu gewinnen – bis seine Konkurrenten die Predigten seines Pfarrers unter die Lupe nahmen. Deren Inhalt empörte Amerika. Obama befreite sich mit einer Rede zum komplizierten Verhältnis von Hautfarbe und Religion, die bis heute als Meisterwerk gilt.

Sarah Palin hat gleich nach den Schüssen ihr Mitgefühl mit den Opfern und deren Familien auf ihrer Facebook-Seite ausgedrückt und sich seither ungewöhnlich defensiv verhalten. Ihre Verteidigung überließ sie anderen Republikanern. Ihr Freund Glenn Beck, Talkmaster im rechten Sender Fox mit vielen Millionen Fans, verlas am Montag eine Botschaft Palins: „Ich hasse Gewalt. Ich hasse Krieg. Unsere Kinder werden keinen Frieden finden, wenn die Politisierer die Lage dazu missbrauchen, allen möglichen Leuten vorzuwerfen, dass sie zu Terror und Gewalt aufstacheln. Ich danke allen, die stattdessen Gottes Botschaft der Wahrheit und der Liebe verbreiten.“

Palin ist nicht die Einzige, von der Amerika mehr erwartet als Zögern und Taktieren. Barack Obama fliegt am Mittwoch zur Trauerfeier nach Tucson. Die Nation verlangt Wegweisung vom Präsidenten: zur menschlichen Seite der Tragödie, zum Waffenrecht, zum Ton der politischen Auseinandersetzung und nicht nur Beileidsbekundungen und Aufrufe zur Mäßigung. Er bereite eine Rede vor, sagt das Weiße Haus, wolle sie aber erst halten, wenn Giffords Schicksal klar sei.

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