
© dpa/Bernd von Jutrczenka
Scheidender SPD-Abgeordneter: „Merz täuscht die Menschen, das ist eines Kanzlers unwürdig“
Er sei froh, den künftigen Kanzler nicht mehr mitwählen zu müssen, sagte am Donnerstag im Bundestag der scheidende SPD-Abgeordnete Brian Nickholz. Woher der Unmut? Ein Interview.
Stand:
Herr Nickholz, Sie haben am Donnerstag im Bundestag erklärt, dass Sie froh sind, Merz als Kanzler nicht mehr mitwählen zu müssen. Woher der Frust?
Das stand nicht im Redemanuskript, sondern war eine spontane Bemerkung zur Debatte und zum Gebaren von Friedrich Merz. Ich hätte mir seinen Auftritt ganz anders vorgestellt. Seine Rede wäre eine Chance gewesen, sich selbst zu reflektieren. Aber Merz fehlt anscheinend der Anstand, Fehler zuzugeben. Er müsste nun ehrlich sagen, dass es falsch war, in der Vergangenheit nicht die Gelegenheit für eine Grundgesetzänderung zu ergreifen. Merz tut so, als wäre er immer offen für eine Reform gewesen. Ich glaube, ich bin nicht der Einzige, der diese Offenheit vor der Wahl nicht erkannt hat. Merz täuscht die Menschen, und das ist eines Kanzlers unwürdig.
Nun sind es die Grünen, die Merz nicht einfach folgen wollen. Verständlich?
Auch die Art, wie Merz mit den Grünen umgegangen ist, fand ich überhaupt nicht hilfreich, wenn man gemeinsam zu einer Lösung kommen möchte. Merz behandelt sie von oben herab, nach dem Motto: Ihr habt jetzt, was ihr wollt, nun stimmt halt zu. Das besorgt mich sehr.
Fehlt Merz die Demut, die ein Kanzler braucht?
Man kann das Demut nennen oder einfach den Willen, alle demokratischen Kräfte zusammenzubringen. Merz hat in den vergangenen Jahren sehr hohe Maßstäbe an die Arbeit eines Kanzlers gelegt. Ich fürchte, dass er diesen Maßstäben selbst nicht gerecht wird, und mit dieser Befürchtung bin ich in diesem Land nicht alleine. Wer dieses Land führen möchte, sollte als Erstes einen Schritt mehr auf alle anderen zugehen, als die auf ihn zukommen müssen. Davon habe ich am Donnerstag nichts gemerkt. Aber bis Dienstag ist noch Zeit, einen anderen Eindruck zu vermitteln. Vielleicht kann Herr Merz von meiner Rückmeldung etwas annehmen.
Daran, ihn zum Kanzler zu wählen, führt für ihre Partei aber am Ende kein Weg vorbei – oder?
Ich warte ab, was die Koalitionsverhandlungen erbringen. Wenn die Inhalte stimmen, lassen sich bestimmte Personalien leichter verkraften. Zum Schluss steht ein Mitgliedervotum. Übrigens will ich nicht einfach pauschal die Union kritisieren. Den Auftritt von Alexander Dobrindt im Bundestag fand ich zum Beispiel deutlich zugewandter als bei Merz und am gemeinsamen Ziel orientiert.
Apropos Inhalte – Mütterrente, Agrardiesel, Pendlerpauschale: Das ist doch altmodische Klientelpolitik der schlimmsten Sorte.
Ich glaube, ein Sondierungspapier, was uns absolut glücklich macht, würde die Union nicht glücklich machen. So ist es in Koalitionen. Direkt glücklich macht das Papier mich bisher nicht. Aber ich kann der Union schlecht vorwerfen, dass sie mit ihren Ideen in diesem Sondierungspapier vorkommt.
Auch Ihre Partei trägt nun vor, die Lage habe sich plötzlich gewandelt, deshalb brauche es ad hoc die Grundgesetzänderung. Stützt ihre Partei damit nicht Merz’ schlechte Ausreden?
Es ist ein Unterschied, ob wir sagen, die Lage hat sich weiter zugespitzt, oder ob wir behaupten, sie wäre vollkommen neu und unvorhersehbar. In meinem Wahlkreis sagen mir die Menschen: Nutzt die Chance, wenn sie sich nun endlich bietet, wir brauchen das Geld für die Infrastruktur ganz dringend. Das sehe ich auch so. Ich finde nur: Friedrich Merz sollte sich ehrlich machen, dass er vor der Wahl etwas anderes gesagt hat.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: