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Plakate zur Rostocker Stichwahl am Sonntag.

© Bernd Wüstneck/dpa

Schreibt ein Däne heute Geschichte?: Claus Ruhe Madsen kann Rostocks Oberbürgermeister werden

Bald leitet womöglich der erste EU-Ausländer eine deutsche Großstadt. Möbelhändler Madsen bekommt zur Stichwahl am Sonntag auch Unterstützung von ganz rechts.

Der Däne Claus Ruhe Madsen könnte in Deutschland Geschichte schreiben: Der 46-Jährige will an diesem Sonntag Oberbürgermeister von Rostock werden – als erster in der Historie, der keinen deutschen Pass besitzt.

Madsen ist parteilos und tritt in der Stichwahl gegen den Linke-Kandidaten Steffen Bockhahn an. Am Sonntagabend steht wohl fest, wer die Stadt in den nächsten sieben Jahren regiert. Vorgänger Roland Methling vom Wählerbündnis „Unabhängige Bürger“ war nach 14 Jahren nicht mehr angetreten.

An der Strandpromenade von Warnemünde hängen auffällig viele Madsen-Plakate. Vom Kontrahenten Bockhahn ist kaum eines zu sehen. Madsen setzt auf frische Brise an der Küste: Mit Wikingerbart und schwarz gerahmter Brille, meist mit Kapuzenpullover statt Hemd, setzt er auf traditionell grüne und auf digitale Themen und gibt sich unkonventionell. Aus Prinzip sagt er „Du“.

Er hat Wahlkampf im Erdbeerhäuschen und am Hotdogstand gemacht, einen Podcast gestartet und auf Facebook gestreamt, ist mit dem Lastenrad durch die Altstadt gefahren: „Schwatzen mit Madsen“ und „Snack für'n Schnack“ nennt er seine Aktionen. Die Botschaft ist klar: Modern und bürgernah will er auf Dialog statt Streit setzen und „Rostock bewegen“, wie sein Slogan lautet. Er hat ihn auf T-Shirts und Anstecker drucken lassen.

Rostock wächst und prosperiert

Rostock geht es gar nicht schlecht: Anders als der Rest der Region wächst die Stadt sogar. Noch sind es 208.000 Einwohner, 2035 könnten es über 230.000 sein. Die Arbeitslosenquote liegt bei 5,9 Prozent, der im Osten oft übliche Wohnungsleerstand liegt hier nahe Null. Rostock schmückt sich nicht nur mit den Giebelhäusern seiner Altstadt, sondern auch mit einer Gründerkultur. Werften und Reedereien bringen ebenso Geld wie der Tourismus in Warnemünde – und namhafte Forschungsinstitute, von der Marine über die Fischerei bis zum Wetterdienst, haben ihren Platz hier an der Küste gefunden.

Auch das mag ein Grund sein, dass Madsen mit seinen Themen punkten kann – Digitalisierung und Öko als Wohlstandsthemen, wenn man so will. Der Däne will Rostock „hyggelig“ machen, also dänisch gemütlich; ein Lifestyle-Trend. Viele seiner Ideen sind in Dänemark längst alltäglich.

In Rostock lebt er seit 1998, davor war er ein paar Jahre in Essen Zuhause. Auf die Frage, ob er als Oberbürgermeister dann den deutschen Pass wollte, entgegnet Madsen: Er sei in Kopenhagen geboren – und damit näher an Rostock als 98 Prozent aller Deutschen – an Schlagfertigkeit mangelt es ihm nicht. Er fühlt sich als Rostocker, sagt er, der Pass ist für ihn nur ein Papier.

Auch Frau und Tochter leben hier. Er ist Handballnachwuchstrainer im Verein, betont er immer wieder. „Ich habe in zahlreichen Gesprächen festgestellt, dass die einfachen Themen die Menschen bewegen, wie Hundekot und Müll auf der Straße oder kaputte Gehwege – und nicht etwa Großprojekte“, beschrieb Madsen seinen Wahlkampf beim Wahlforum der „Ostseezeitung“. Madsen wirbt mit digitalen Behördengängen, Tiny Houses als Wohnraum und Grünflächen als Lebensraum für Insekten. Was er gegen die Spaltung der Stadtgesellschaft in arm und reich tun will, bleibt dagegen unklar.

Die SPD ruft zur Wahl Bockhahns auf

Unternehmer Madsen leitet mehrere Möbelhäuser und war bis vor kurzem IHK-Präsident. Kommunalpolitische Erfahrung fehlt ihm bislang. Sein Konkurrent Bockhahn ist Sozial- und Bildungssenator. Wer Madsen wählt, wählt also auch gegen das politische Establishment.

Vor der Stichwahl rief die SPD ihre Wähler dazu auf, den Linkspartei-Kandidaten Bockhahn zu unterstützen. Die Grünen verzichteten auf eine Empfehlung, stehen aber wohl auch Bockhahn näher. Für Madsen blieben die CDU und FDP nahestehenden Wähler, die er schon im ersten Wahlgang hatte.

Und dann hat er noch Unterstützer, die Madsen selbst wohl nicht ganz geheuer sind: Der Landtagsabgeordnete Holger Arppe, Ex-AfD-Mitglied und nach NDR-Recherchen zu rassistischen, gewaltpornographischen und -verherrlichenden Äußerungen aus der Partei ausgeschlossen, ruft auf Youtube zur Wahl Madsens auf: Der sei „für uns Patrioten sicherlich kein einfacher Kandidat“, aber er wolle Bürgermeister aller Rostocker werden und „der Mann weiß, was es heißt, Arbeiten, sich vom kleinen Angestellten zum erfolgreichen Unternehmer hochzumalochen, und ist dadurch ein Vorbild für die junge Generation“, sagt Arppe.

Madsen sagte dem NDR dazu kühl: „Nur weil jemand Steffen (Bockhahn) noch weniger mag als mich, macht ihn das doch nicht automatisch zu meinem inhaltlichen Unterstützer, politischen Partner oder Freund.“ Bei der Bürgerschaftswahl in Rostock erreichte die AfD Ende Mai mit 9,6 Prozent nur den fünften Platz.

Den ersten Wahlgang gewann der Däne

Dass Madsen als erster EU-Ausländer in das Rathaus einer deutschen Großstadt ziehen könnte, ist auch außerhalb von Rostock so interessant, weil aus dem Osten eher AfD-Wahlerfolge und Ausländerfeindlichkeit wahrgenommen werden. Und Rostock wird noch immer mit dem Fanal von Lichtenhagen im August 1992 in Verbindung gebracht, als Rechtsextreme unter dem Applaus von bis zu 3000 Zuschauern ein Wohnheim ehemaliger vietnamesischer Vertragsarbeiter mit Molotow-Cocktails in Brand steckten.

Den ersten Wahlgang vor drei Wochen gewann Madsen deutlich: 34,6 Prozent der Stimmen vereinte er auf seine Person. Die anderen Stimmen verteilten sich auf die Kandidaten von SPD, Linken und Grünen, ein verbliebener Kontrahent Bockhahn erhielt 18,9 Prozent. Es könnte also knapp werden.

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