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Politik: Schulpflicht für Dreijährige – SPD prüft Radikalreform Konzept von Regierungsberater: Eine Schule für alle CDU: Gleichmacherei und Zentralisierungswahn

Berlin - Die SPD erwägt einen radikalen Neuanfang in der Bildungspolitik. Nach einem Konzept von Regierungsberater Karl Lauterbach sollen künftig alle Drei- bis Sechsjährigen verpflichtend und kostenlos in Ganztages-Vorschulen gefördert werden.

Berlin - Die SPD erwägt einen radikalen Neuanfang in der Bildungspolitik. Nach einem Konzept von Regierungsberater Karl Lauterbach sollen künftig alle Drei- bis Sechsjährigen verpflichtend und kostenlos in Ganztages-Vorschulen gefördert werden. Außerdem sieht es die Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems vor. In der SPD stieß das Papier auf Lob. Es handle sich um einen „Vorschlag, der sicher in die richtige Richtung geht“, sagte der bildungspolitische Sprecher Jörg Tauss dem Tagesspiegel. Lauterbachs Überlegungen flössen in das Programm ein, das die Sozialdemokraten bei einem kleinen Parteitag am 18. Juni in Berlin beschließen wollten. „Nach Pisa können wir nicht die Augen zukneifen und weitermachen wie bisher.“ Auch das Bildungsministerium signalisierte Zustimmung. Es sei „sehr hilfreich, wenn Kinder nicht so früh auf verschiedene Schulen verteilt werden“, sagte eine Ministeriumssprecherin.

Betreuung und Unterricht in den obligatorischen Vorschulen sollten Erzieher übernehmen, die an Fachhochschulen ausgebildet werden, sagte Lauterbach bei einem SPD-Forum in Berlin. Auch für Kinder unter drei Jahren sei ein flächendeckendes, ganztägiges und kostenloses Betreuungsangebot notwendig. Und die bisherige Gliederung in Grundschulen, Hauptschulen, Realschulen, Gymnasien und integrierte Gesamtschulen müsse überwunden werden – zugunsten von „Gemeinschaftsschulen“ mit kleineren Klassen, in denen mit „einheitlichen hohen Bildungsstandards für alle Begabungsstufen“ gearbeitet werde. Außerdem sollten gesunde Ernährung, mehr Bewegung und „Tabakvermeidung Pflicht sein“. Lauterbach schätzte die Kosten einer solchen Reform auf 20 Milliarden Euro pro Jahr. Finanzieren könne man sie mit Subventionsabbau und einer „solidarischen Mehrbelastung der gut Verdienenden“.

Die kostenlose Ganztagesschule werde die Entscheidung für Kinder positiv beeinflussen und die Geburtenrate erhöhen, prognostizierte der Kölner Ökonom. Frauen könnten stärker als bisher erwerbstätig werden und dadurch Wachstumsimpulse für die Wirtschaft auslösen. Zudem trage eine konsequente Gesundheitserziehung zur Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme bei.

Gemeinsames Lernen habe sich bewährt, sagte SPD-Experte Tauss und verwies auf die Erfolge in Skandinavien. Allerdings sollte man mit dem dreigliedrigen System nur brechen, wenn dreierlei garantiert sei: mehr Betreuung, bessere Förderung und stärkere Durchlässigkeit. „Es bringt nichts, die bestehenden Mängel auf eine neue Schulform zu übertragen.“ Auch demographische Probleme zwängen zum Umdenken. „Den Luxus von Haupt- und Realschulen in jedem Ort werden wir bald nicht mehr haben.“

Katherina Reiche (CDU) sieht in dem Konzept dagegen rot-grünen „Zentralisierungswahn“. Lauterbach plane eine „Gleichmacherei, wie sie dieses Land noch nicht gekannt hat“, sagte sie dem Tagesspiegel. Zwar habe sie nichts gegen eine frühere Einschulung und sei auch dafür, der vorschulischen Erziehung stärkeren Bildungscharakter zu geben. Aber Kinder seien „verdammt unterschiedlich. Wieso die alle in dieselbe Schule sollen, will mir nicht in den Kopf.“

Heinz-Elmar Tenorth, einer der führenden deutschen Schulforscher, übte ebenfalls Kritik. „In Abständen von einem halben Jahr äußern sich Außenstehende mit Gesamtrezepten, die alles auf einen Schlag ändern sollen, aber das Kind der Reform mit dem Bade ausschütten.“ Mit Organisationsreformen ließen sich die Probleme nicht lösen, vor allem wenn man sie flächendeckend konzipiere. Der Präsident der Freien Universität Berlin, Dieter Lenzen, sagte, man könne nicht einfach finnische Modelle auf Deutschland übertragen. Zum einen hätten die Finnen kein vergleichbares Ausländerproblem, zum anderen würden die Schüler dort viel intensiver betreut. Der FU-Präsident warnte zudem davor, den alten „Kulturkampf“ um die richtige Schulorganisation wieder aufleben zu lassen.

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