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Debatte über Schwangerschaftsabbruch: Abtreibung ist nicht die „Ehe für alle“
Der Bundestag soll unmittelbar vor seiner Auflösung zu einer der umstrittensten Fragen beschließen, die Politik überhaupt entscheiden kann. Das ist mutig – aber ist es klug?

Stand:
Am Donnerstag berät der Bundestag über einen Gesetzentwurf zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs, eingebracht von Parlamentariern aus den Fraktionen von SPD, Grünen und Linken. Mit ein paar Stimmen aus anderen Lagern könnte ein Knaller-Moment folgen: Wie 2017, als das hohe Haus, ohne Fraktionszwang, die „Ehe für alle“ beschloss und Homosexuelle im bürgerlichen Eherecht – endlich – mit Heterosexuellen gleichgestellt hat.
Auch die Abtreibungsregeln wirken, als wären sie aus der Zeit gefallen. Weg mit Paragraf 218 Strafgesetzbuch, der Abtreibungen verbietet, fordern viele. Kein Gängeln mehr durch „Beratung“, volle Freiheit für das Selbstbestimmungsrecht. Umfragen zufolge finden es die allermeisten Menschen falsch, dass Abbrüche rechtswidrig sind.
Der Entwurf geht da nicht ganz mit. Er belässt die Beratungspflicht und überführt wesentliche Regelungen vom Strafgesetzbuch in das Schwangerschaftskonfliktgesetz. Paragraf 218 bleibt, aber mit neuer Bedeutung. Abbrüche bis zur zwölften Woche werden jedoch künftig rechtmäßig sein, Kosten übernimmt die Krankenkasse.
Kein Bruch mit allem, aber eine echte Reform. Möglich, dass sie vor dem Bundesverfassungsgericht besteht, das einst auf Regeln im Strafgesetzbuch zum Schutz ungeborenen Lebens gedrungen hatte. Kann sein, dass sie Ärztinnen und Ärzte ermuntert, Abbrüche vorzunehmen und damit die medizinische Versorgungslage verbessert. Nicht ausgeschlossen sogar, dass Gegner der Reform wie der Wahrscheinlich-Kanzler Friedrich Merz ihren Frieden damit machen.
Kann sein, muss aber nicht. Spätestens wenn die bisher moderaten Abtreibungsraten in Deutschland drastisch zunehmen sollten, wird man sich fragen, welche Art Fortschritt mit der Reform verbunden war. Dann könnte der über Jahrzehnte erfolgreich marginalisierte Kulturkampf mit neuem Personal und alten Argumenten wieder hervorbrechen; die AfD läuft sich schon warm, um den unauflösbaren Konflikt um „Lebensschutz“ zu ihrem großen Thema zu machen.
Vielleicht gibt es auch schon früher, aufgrund eines Verfassungsrichterurteils, die Reform der Reform, vielleicht besorgt sie der Bundestag selbst mit seiner nächsten Mehrheit.
Dann könnte die heute noch geltende Rechtslage als der durchdachte Kompromiss erscheinen, der er lange war; notgedrungen unzulänglich, aber ein Ausgleich, der es Frauen jederzeit möglich macht, medizinisch versorgt eine Schwangerschaft zu beenden; der es als Preis für diese Freiheit hinnahm, den faktisch und rechtlich erlaubten Abbruch als formal rechtswidrig auszuweisen.
Dies alles würde in die Abwägung gehören, ob es wirklich klug ist, jetzt, kurz vor Ende der Legislaturperiode und mit schwindender demokratischer Legitimation, zu einem außergewöhnlichen politischen Problem eine zumindest nicht unproblematische Reform zu beschließen.
Sie als überfällige oder, wie der Entwurf es tut, alternativlose Modernisierung zu feiern, wie damals die „Ehe für alle“, verkennt den zugrundeliegenden Konflikt: Die Ehe ist ein bürgerliches Symbol, die Abtreibung dagegen ist der Ernst des Lebens.
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