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Pressekonferenz nach Koalitionsausschuss: CSU-Chef Markus Söder, Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), Bundesministerin für Arbeit und Soziales Bärbel Bas (SPD) und Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) präsentieren die Ergebnisse.

© IMAGO/dts Nachrichtenagentur/IMAGO/dts Nachrichtenagentur

Schwarz-rote Einigung: „Das Bürgergeld ist jetzt Geschichte“

Künftig sollen Jobcenter deutlich schärfere Sanktionen aussprechen können als bisher. Die SPD geht bis an die eigene Schmerzgrenze mit, um das unglückselige Thema Bürgergeld endlich abzuräumen. Die Analyse.

Stand:

Nicht weniger als einen „offenen Verfassungsbruch“ sieht die Linkspartei. Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge nennt die Pläne „menschlich hart und kalt“ und sagt: „Ich finde, die SPD kann das ,Sozial’ aus ihrem Namen auch streichen, wenn sie das mitmacht.“

Das hat die Partei sicher nicht vor. Aber so manches von dem, was am Donnerstagfrüh nach der Nachtsitzung des schwarz-roten Koalitionsausschusses verkündet wurde, hat die SPD vor der Wahl noch aufs Entschiedenste abgelehnt. Nun aber schickt sich Schwarz-Rot nach langen, harten internen Debatten an, in Sachen Bürgergeld einen Kurswechsel zu vollziehen. Im besten Fall, so ist aus Sicht der SPD zu hoffen, würde damit dem Thema das Mobilisierungs- und Empörungspotenzial genommen, das es den Sozialdemokraten in den vergangenen Jahren so schwer gemacht hat.

Schärfere Sanktionen sollen kommen

Die Sanktionsmöglichkeiten sollen deutlich geschärft werden, auch beim Schonvermögen geht die Koalition ran. Im Einzelnen ist geplant:

  • Es wird der Versuch unternommen, Menschen aus dem System zu bekommen, die gar nicht mehr im Jobcenter auftauchen. Manche sind etwa schon längst nicht mehr in Deutschland, andere haben so große Probleme, dass sie von jeglichem Behördenkontakt überfordert sind. Schwarz-Rot geht grundsätzlich hart vor: Wer zum zweiten Mal einen Termin verpasst, bekommt 30 Prozent des Regelsatzes gestrichen. Beim dritten Mal wird der Regelsatz vollständig gestrichen, im Folgemonat sogar auch das Geld für Miete und Heizung. Eine Härtefallregelung soll aber sicherstellen, dass dies nicht zum Beispiel psychisch Kranke trifft.
  • Menschen, die ein Jobangebot ablehnen, soll der Regelsatz gestrichen werden können, nicht aber die Kostenübernahme fürs Wohnen. Theoretisch ist das Streichen des Regelsatzes schon möglich, aber nur für zwei Monate. Außerdem sind die Bedingungen so formuliert, dass die Sanktion in der Praxis so gut wie nicht vorkommt. Womöglich werden die Regeln nun so gefasst, dass sie auch real etwas bewirken. Über Details wird noch zu entscheiden sein, klar ist aber, dass die Union der Treiber dahinter war, bei den Sanktionen so sehr zu verschärfen.
  • Beim Schonvermögen gibt es künftig keine Karenzzeit mehr. Stattdessen soll von der „Lebensleistung“ der Betroffenen abhängen, welches Vermögen sie behalten dürfen, bevor die Grundsicherung greift. Wer in einer eigentlich viel zu teuren Wohnung lebt, soll ebenfalls schneller als bisher umziehen müssen.
  • Der Vermittlungsvorrang kommt zurück. Das bedeutet, dass die Aufnahme eines Jobs, auch wenn der wenig Perspektive hat, im Zweifel wichtiger ist als zum Beispiel eine Umschulung. Doch verabredet wurde, dass Qualifizierung vorgehen darf, wenn sie erfolgversprechender erscheint – nicht nur, aber insbesondere bei den unter 30-Jährigen. Damit hat die SPD diesen Wunsch der Union nicht vollständig erfüllt.
  • Schwarz-Rot will schärfer als bisher gegen Sozialmissbrauch vorgehen. Da geht es etwa um den bandenmäßigen Betrug, bei dem Menschen aus Rumänien und Bulgarien nach Deutschland geholt und in Elends-Immobilien einquartiert werden, damit sie Bürgergeld beziehen können – das dann Hintermänner abzweigen. Konkret wird das Papier bei diesem Thema aber nicht.

Mit diesen Plänen testet die Koalition die Grenzen dessen, was verfassungsrechtlich geht. Es ist fest davon auszugehen, dass sich jemand findet, der in Karlsruhe klagt, wenn aus den Ideen tatsächlich ein Gesetz geworden ist. Insbesondere beim Thema Sanktionen ist stark umstritten, ob das, was Schwarz-Rot vorhat, noch mit den Grundsätzen der Verfassung vereinbar ist oder eben nicht.

Macht Karlsruhe mit?

Im Jahr 2019 hatte das Verfassungsgericht geurteilt, dass zumindest grundsätzlich höchstens 30 Prozent des Regelsatzes gestrichen werden dürfen. Das betrifft die Konstellationen, in denen Menschen im Jobcenter erscheinen, sich aber weigern zu arbeiten. Die Frage wird sein, ob sich ein Weg um dieses Urteil herum findet.

Nochmal anders liegt der Fall bei Menschen, die erst gar nicht im Jobcenter auftauchen. Diese Konstellation wird nämlich vom Urteil aus dem Jahr 2019 nicht direkt erfasst. Hier lässt sich argumentieren, dass die Personen offenbar von vornherein nicht bedürftig sind und erst gar nicht ins Grundsicherungssystem hineingehören. Doch auch da wird abzuwarten sein, ob Karlsruhe bei den geplanten Verschärfungen mitgeht.

In der SPD hat man erkannt, zu welchem Frust das Thema Bürgergeld in den vergangenen Jahren bei vielen Wählerinnen und Wählern geführt hat, die der Partei verloren gegangen sind. Man will die unselige Debatte hinter sich lassen und ist bereit, dafür Härten zuzustimmen, die die Partei noch vor kurzem für nicht zumutbar erklärt hatte.

Die Sozialdemokraten halten die Reihen am Donnerstag geschlossen, es wird keine Kritik laut, dass nun Grundlinien der Bürgergeld-Reform abgeräumt werden. Einer aber wagt sich vor: Juso-Chef Philipp Türmer sagt dem Tagesspiegel: „Dass jetzt unter der Beteiligung der SPD wieder eine Rolle rückwärts gemacht wird, tut extrem weh und ist falsch.“

Seit der Einführung des Bürgergelds hatten Befragungen von Jobcenter-Mitarbeitern ergeben, dass diese insbesondere dafür plädieren, endlich wieder schärfere Sanktionen verhängen zu können. So kommt es nun, es ist die Rolle rückwärts, die Türmer meint.

Die Frage wird sein, was damit zu erreichen ist. Ökonom Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit sagte dazu dem Tagesspiegel: „Wenn Menschen Termine versäumen und damit eine Sanktion in Kauf nehmen, stimmt oft etwas in ihrem Leben nicht. Bis hin zu Menschen, die sich gar nicht mehr trauen, ihren Briefkasten zu öffnen.“ Regeln mit automatischen Sanktionen für alle seien problematisch. „Verfassungsrechtlich ist klar, dass immer auf den Einzelfall geschaut werden muss, damit Sanktionen nicht die Falschen treffen.“

Bei Hartz IV sei das Pendel sehr weit in eine Richtung geschwungen, beim Bürgergeld sehr weit in die andere, nun gehe es zurück. Weber aber fordert: „Maß und Mitte sind wichtig. Sonst übt man Druck auf Leute aus, die diesen Druck nicht aushalten können.“ Wie viel Druck Schwarz-Rot genau ausübt, ist noch nicht klar. Auf so manches Detail, so manche Formulierung wird es im Gesetzgebungsprozess noch sehr ankommen. Markus Söder aber sagte am Montag: „Das Bürgergeld ist jetzt Geschichte.“ Unrecht hat er damit nicht. (mit fki)

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