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Wie bekommt man ihn wieder kleiner?

© Annette Riedl/dpa

Die CDU/CSU und die Wahlrechtsreform: Seltsam ängstlich und verzagt

Der Vorschlag der Union zur Wahlrechtsreform wirkt so, als ob sie an ihre alte Stärke nicht mehr glaubt. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Albert Funk

Hat die Union Angst? Fürchtet sie, dass sie nicht mehr zu alter Stärke zurückkehren wird? Glaubt sie, dass sie für immer deutlich unter 40 Prozent bleiben wird bei Bundestagswahlen? Man könnte es meinen, nimmt man den Vorschlag von CDU und CSU für eine Wahlrechtsreform, mit dem sie am kommenden Dienstag in den Koalitionsausschuss gehen wird.

Mit drei Änderungen vor allem will sie erreichen, dass der Bundestag zumindest nicht mehr so groß wird wie jetzt – die Aufblähung durch Überhänge und Ausgleichsmandate also geringer ausfällt als ohne Reform. Zum einen will die Union weniger Wahlkreise, und zwar 280 statt 299. Zweitens sollen sieben Überhänge ohne Ausgleich bleiben. Und drittens geht es um eine Korrektur des Zuteilungsverfahrens. Zusammengenommen soll es so zu einer Dämpfung des Aufwuchses kommen, indem es einerseits zu weniger Überhängen kommt, andererseits zu weniger Ausgleichsbedarf. Ob das den in Aussicht gestellten Effekt hat – 2017 wären nach Angaben der Unions-Fraktion 642 statt 709 Sitze herausgekommen – ist allerdings nicht ganz sicher. Denn es kommt schon darauf an, welche Wahlkreise konkret abgeschafft werden sollen. Diese Liste gibt es aber offiziell nicht.

Wahlkreise abschaffen oder Mandate kappen?

Die SPD vermeidet in ihrem als Notlösung gedachten Deckelungsmodell, das eine Obergrenze von 690 Mandaten einführt, das Streichen von Wahlkreisen. Allerdings sieht es vor, unter Umständen gewonnene Direktmandate nicht zuzuteilen, wenn anders der Deckel nicht zu halten wäre. Das aber lehnt die Union ab – nach den aktuellen Umfragen würde sie mehr als 280 der 299 Wahlkreissieger stellen, die garantiert in den Bundestag einziehen. Die Begründung: Es sei nicht vermittelbar, dass Wahlkreissieger nicht in den Bundestag einziehen.

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Allerdings haben solche „Sieger“ auch schon mal nur um die 25 Prozent der Stimmen – wie im Fall der beiden Dresdner Wahlkreise 2017. Nicht unbedingt beeindruckend. Insofern ist es nicht falsch, die Mandatskappung im Fall schwacher Wahlkreissieger abzuwägen gegen das Streichen von mehr als einem Dutzend Wahlkreisen. Letzteres ist ja auch eine Art Kappung. Allerdings eine auf Dauer, denn gestrichene Wahlkreise sind futsch. Ein gekapptes Direktmandat dagegen kann wieder gewonnen werden.

Einer Abwägung wert

Zweifellos ist das Kappen von via Mehrheitswahl über die Erststimmen errungenen Direktmandaten, auch wenn keine heldenhaften Ergebnisse dahinter stehen, keine schöne Sache. Ob der Schritt allerdings verfassungswidrig ist, das ist umstritten. In Bayern war das Kappen einmal jahrelang geltendes Recht, ohne dass Richter eingriffen. Die Abwägung wäre also durchaus zu erwägen.

Aber da stellt sich eben die Frage nach dem Mumm der Union. Traut sie sich stärkere Ergebnisse tatsächlich nicht mehr zu? Offenkundig ist das so, denn sonst würde sie es als Herausforderung empfinden, das Überhangproblem - das ja auch aus ihrer Schwäche im Vergleich zu früher resultiert – anders anzugehen als mit dem dauerhaften Streichen von 19 Direktmandaten via Wahlkreisentzug. Warum akzeptiert sie die Kappung nicht - verbunden mit dem Ziel, sie möglichst gering zu halten?

Weitere Entpersonalisierung möglich

Zumal das Streichen von 19 Wahlkreisen eine Entpersonalisierung der Wahl auf Dauer bringt, vorerst zwar nur in moderater Weise, aber immerhin. Wenn jedoch einmal das Verringern der Wahlkreiszahl begonnen hat, dann wird es so weitergehen – denn das Fernziel muss ja sein, wieder einen Bundestag mit der vernünftigen Normalgröße von 598 Abgeordneten zu haben statt dauerhaft deutlich mehr. Dann aber geht es um eine Reduzierung auf 250 oder noch deutlich weniger Wahlkreise. Die Union riskiert mit ihrem Vorschlag aber genau diese Entwicklung.

Und sie geht mit dem Vorschlag sogar so weit, den innerfraktionellen Proporz der Landesverbände auszusetzen. Denn die Verbindung von neuem Zuteilungsmodus und unausgeglichenen Überhängen würde bedeuten, dass Länder ohne Überhänge der Union mit weniger Sitzen dafür bezahlen. Landesverbände mit Überhängen wären in der Fraktion überrepräsentiert, und das hätte zur Folge, dass auch im Gesamtplenum diese Länder weniger Abgeordnete hätten als bei reiner Verhältniswahl mit festen Sitzkontingenten der Länder. Auch das wirkt nicht ganz überzeugend.

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