
© Jonathan Ernst/Pool/File Photo, Reuters
Streit über designierte Verfassungsrichterin Barrett: Sie ist Katholikin, na und?
Es heißt, Amy Coney Barrett, sei „erzkonservativ“, „reaktionär“, „fundamentalistisch". Solche Zuschreibungen grenzen an Diffamierung. Ein Kommentar.

Stand:
Amy Coney Barrett ist Katholikin. Macht ihr Glaube sie befangen, verdächtig, gar gefährlich? Donald Trump hatte die 48-jährige Juristin nach dem Tod von Ruth Bader Ginsburg als höchste Verfassungsrichterin nominiert.
Das wird voraussichtlich in wenigen Tagen vom Justizausschuss des Senats und anschließend vom Senat selbst bestätigt. Dort haben die Republikaner die Mehrheit. Viele Demokraten schäumen vor Wut.
Die Abstimmung über Barrett illustriert eine Absurdität des US-Wahlrechts: Die Republikaner repräsentieren trotz ihrer Mehrheit im Senat, wo sie über 53 der 100 Sitze verfügen, 15 Millionen US-Bürger weniger als die Demokraten, die dort in der Minderheit sind.
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Überdies ist eine derart kurzfristige Nachbesetzung ungewöhnlich. Die Opposition erinnert an das nun gebrochene Versprechen führender Republikaner, so knapp vor einer Präsidentenwahl das Wählervotum abwarten zu wollen. Doch alles Haareraufen nützt nichts. Gegen die Bestätigung Barretts können ihre Gegner nichts ausrichten.
Zweifel an Barretts Unabhängigkeit
Umso leidenschaftlicher werden die Angriffe geführt. Viele kreisen um Barretts Religiosität, ihren Glauben. Der schüre Zweifel an ihrer Unabhängigkeit, heißt es. Die medial verbreiteten Attribute reichen von „erzkonservativ“ über „reaktionär“ bis „fundamentalistisch".
Ihr wird zur Last gelegt, ein Sektenmitglied zu sein. Gemeint ist die ökumenische Laiengemeinschaft „People of Praise“ (Volk der Lobpreisungen), der Barrett und ihr Mann angehören. Sekte – das soll nach Abspaltung und obskuren Praktiken klingen. Solche Zuschreibungen, heutzutage „framing“ genannt, grenzen an Diffamierung.
Sie gilt als unideologisch, eigenständig, ausgleichend
Katholiken, die der im Katechismus festgelegten Lehre folgen, sind gegen Abtreibungen, die Ehe für alle und die Todesstrafe. In dieser Hinsicht ist Barrett eine sehr normale Katholikin.
Ihre fachliche Kompetenz ist unumstritten. Extreme Ansichten hat sie bislang nicht vertreten. Sie gilt als unideologisch, eigenständig und ausgleichend. Zur besonders heiklen Frage des Abtreibungsrechts betonte Barrett bei ihrer Anhörung zur Bundesrichterin im Jahre 2017, sie würde das maßgebliche Urteil des Bundesverfassungsgerichts dazu nicht revidieren.
Doch schon damals hielt ihr die demokratische Senatorin Dianne Feinstein vor, dass „das Dogma in Ihnen sehr laut lebt, was mich besorgt“. Barrett entgegnete: „Wenn Sie mich fragen, ob ich meinen katholischen Glauben ernst nehme – ja, das tue ich.“
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Allerdings nehmen immer weniger Amerikaner den Glauben ernst. Die sogenannten „Nones“, die sich keiner Religionsgemeinschaft zugehörig fühlen, sind die am schnellsten wachsende Gruppe.
Bis in die 1980er Jahre hinein verorteten sich noch 90 Prozent der Bevölkerung innerhalb einer Glaubensrichtung. Dann fiel die Kurve steil ab. Heute sind es, laut Gallup, 52 Prozent, und der Trend ist klar: je jünger, desto kirchenferner. Ein Grund dafür ist die enge Verbindung zwischen religiös und politisch konservativen Kräften. Das hat Menschen mit kulturell liberalen Ansichten – etwa zur Abtreibung oder zur Ehe für alle – spirituell heimatlos gemacht.
Im Fall Barrett treffen nun Liberalismus und Religionsferne auf Konservatismus und Glaubensverankerung. Das zementiert eine Mauer: Liberale finden die Brücke nicht zur Religion, Konservative nutzen die Religion als Abwehr gegen Liberalismus. Barrett ist Katholikin. Das macht sie weder befangen noch verdächtig.
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