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Menschen feiern im Stadtzentrum Amsterdams den Tag des Königs. (Symbolbild)

© dpa/Peter Dejong/AP

Nach Inzidenz-Explosion: So schafften die Niederlande die Corona-Trendwende

Im Juli explodierten die Infektionszahlen in den Niederlanden. Dann zog die Regierung die Notbremse. Mit Erfolg. Doch zum Aufatmen ist es zu früh.

Dicht an dicht sitzen die Leute an den Amsterdamer Grachten in der Sonne. Küsschen zur Begrüßung, kaum einer hält Abstand, keiner trägt Maske - die liegen allenfalls im Müll. Gedränge in den Läden, Grillparties in Parks. „Gezellig“, so wie es die Niederländer eben lieben. War da noch was? Ach ja - die Niederlande sind Hochrisikogebiet. Die Infektionszahlen liegen hier etwa sieben Mal so hoch wie beim deutschen Nachbarn.

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Viele deutsche Urlauber können fast ihren Augen nicht trauen. Wenn sie nicht geimpft sind, dann droht ihnen nach der Heimkehr die Quarantäne. Aber in den Niederlanden ist fast alles wie immer. Und das alles bei Inzidenzen von weit über 100. Überhaupt: Das Wort Inzidenz ist ein Fremdwort. Wenn ein Deutscher einen Niederländer nach diesem Wert fragt, kann er höchstens die verständnislose Rückfrage erwarten: „Wat is dat?“

Doch nun ist die Trendwende da. Seit mehr als zwei Wochen gehen die Zahlen der Neuinfektionen in allen Regionen drastisch zurück. Und das alles ohne Lockdown. Nur ein paar Regeln gibt es: Maskenpflicht in Bus und Bahn, Auflagen für Museen, Theater und Kinos sowie andere Veranstaltungen.

Und doch gelang es, das Virus einzudämmen. Wie ist das möglich?

Anfangs folgenschwere Fehler in der Corona-Politik

Die Notbremse der Regierung hat gewirkt. Vor etwa vier Wochen waren Premier Mark Rutte und sein Gesundheitsminister Hugo de Jonge zerknirscht vor die TV-Kameras getreten und hatten sich entschuldigt. Sie hätten mit der Lockerung fast aller Corona-Maßnahmen Ende Juni einen „Einschätzungsfehler“ gemacht.

Das war leicht untertrieben. Minister de Jonge hatte zum Beispiel mit dem lockeren Slogan „Tanzen mit Janssen“ die Jugend ausdrücklich ermuntert, sich schnell impfen zu lassen: Am morgen eine Dosis Janssen-Impfstoff und am Abend dann zur Party.

Der Fehler war folgenschwer.

Kaum öffneten Discos, und Clubs, und gab es wieder Festivals und Studentenpartys, explodierten die Infektionszahlen um bis zu 500 Prozent. Bei Jugendlichen von 18 bis 24 sogar um 850 Prozent. Die Regierung zog die Notbremse. Das Nachtleben stoppte, alle Gaststätten müssen spätestens um Mitternacht schließen, Festivals sind verboten.

Die Grafik zeigt die Verläufe der Sieben-Tage-Inzidenzen in Deutschland und der Niederlande im Vergleich.

© Tsp

Und das war der Hauptgrund für die Trendwende, analysiert das Institut für Gesundheit und Umwelt RIVM. Zuletzt wurden in einer Woche 21.000 Neuinfektionen registriert, 44 Prozent weniger als in der Vorwoche mit rund 37.000. Auch die Zahl der Covid-Patienten in Krankenhäusern stabilisiert sich.

Virus auf dem Rückzug

Vor allem in der Altersgruppe von 18 bis 24 Jahren beobachten die Experten drastisch weniger Infektionen. Und die Jugendlichen waren genau diejenigen, die nach Öffnung der Clubs Ende Juni alle Zügel abgestreift hatten. Clubs, Discos und Studenten-Partys waren in fast 40 Prozent der Fälle die Quelle der Ansteckung. Jetzt sind Gaststätten nur noch für weniger als vier Prozent der Neuinfektionen verantwortlich.

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Das Virus ist auf dem Rückzug, stellen die RIVM-Experten fest, obwohl es bei 92 Prozent der Infektionen um die Deltavariante geht. Die Reproduktions-Zahl liegt nun bei weniger als 0,7. Das heißt, dass 100 Menschen rechnerisch 70 anstecken können.

Der zweite Grund für den rückläufigen Trend ist die gut verlaufende Impfkampagne.

[Mehr zum Thema: Bringt Delta das Chaos zurück an die Schulen? Neues Schuljahr, neue Sorgen (T+)]

21,3 Millionen Impfdosen wurden im Land mit 17 Millionen Einwohnern bisher gespritzt. Etwa zwei Drittel der Erwachsenen ist völlig geimpft, und mehr als 85 Prozent haben zumindest eine Dosis erhalten.

„Das sind an sich positive Zahlen“, sagt Ministerpräsident Rutte. Und doch will er noch keine Entwarnung geben. „Sicher im Vergleich zu unseren Nachbarländern, wie etwa Deutschland, ist die Zahl der positiven Tests noch viel zu hoch.“ Und dann müssen die Niederländer ja auch noch aus dem Urlaub zurück kommen.

Schon jetzt gehen etwa zehn Prozent der Infektionen aufs Konto von Heimkehrern. Doch anders als in Deutschland müssen sich Niederländer nur testen lassen, wenn sie aus einem Hochrisikoland zurückkehren.

Am 13. August will die Regierung entscheiden, wie es weitergeht. Dürfen Bars und Clubs wieder öffnen? Und was ist Festivals oder Fußballspielen? Fehler kann sich Premier Rutte nicht mehr erlauben. Immer mehr Bürger wollen Klarheit. Eine Mehrheit sprach sich jetzt in einer Umfrage dafür aus, Maßnahmen nur vorsichtig zu lockern. Und jeder dritte will sogar erneut eine Masken-Pflicht. (dpa)

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