Politik: „Sofortprogramm für die Kommunen“
Bayerns Innenminister Beckstein über erste Maßnahmen im Fall eines Wahlsiegs und den Aufschwung von Rot-Grün
In den ersten Umfragen nach der Flut nähert sich Rot-Grün dem potenziellen schwarz-gelben Bündnis wieder deutlich an. Was tut die Union, um einen Abrutsch zu verhindern?
Ich bin überzeugt, das wird sich sehr schnell wieder normalisieren. Katastrophen rücken die Exekutive in den Blickpunkt, denn sie muss handeln. Und dadurch hat sie gewisse Vorteile. Aber es wird bald wieder um die eigentlichen Wahlkampfthemen gehen. In zwei Wochen stehen gerade bei den nicht direkt von der Flut Betroffenen wieder Fragen wie die Arbeitslosigkeit im Vordergrund.
Hat nicht die Vielstimmigkeit in der Union zum Thema Fluthilfe in den letzten Tagen den Aufschwung von Rot-Grün begünstigt?
Ich wundere mich, dass das nur der Union unterstellt wird. Auch im Regierungslager ging es doch wild durcheinander, bis der Kanzler aus rein wahltaktischen Gründen gesagt hat, jetzt wird die Steuerreform verschoben. Finanzminister Eichel hat noch am Sonntagabend die Verschiebung als falsch bezeichnet. Unsere Unklarheiten sind am Donnerstag in nicht einmal zwei Stunden geklärt worden.
In der Union gibt es Stimmen, welche die Verteilung der Hilfen kritisieren. Stimmen Sie dem zu?
Bei der Verschiebung der Steuerreform sollen 6,8 Milliarden zusammenkommen, die Hälfte davon kommt auf Länder und Kommunen zu. Ich bin gespannt, wie dafür gesorgt wird, dass das in den Bundeshaushalt fließt und besser heute als morgen an die Flutopfer kommt. Die Frage, in welchem Umfang die Schäden geregelt werden, ist noch unklar. Da muss schnell ein Konzept entwickelt werden, das gerecht sein muss und nicht nur unbürokratisch.
Im Bundesrat stimmt die Union dem als falsch Erkannten zu. Verwirrt das nicht die Wähler?
Nein, jeder weiß: Wir wollen nicht blockieren. Im Falle eines Wahlsieges werden wir diese Verschiebung sofort zurücknehmen. Wir sind in einer wirtschaftlichen Krise und brauchen Wachstum. Das bekommt man nicht durch eine derartige Erhöhung von Steuern.
Ihr Modell, den Bundesbankgewinn einzusetzen, lässt die Schulden wachsen.
Von den zehn Milliarden Euro, die wir einsetzen wollen, werden drei Milliarden durch Umschichtungen und Einsparungen aufgebracht. Die restlichen sieben Milliarden stammen aus dem Bundesbankgewinn, der im vorigen Jahr ungewöhnlich hoch war. Diese unerwartete Summe, die in der Finanzplanung gar nicht berücksichtigt ist, für das außerordentliche Ereignis der Flutkatastrophe heranzuziehen, ist verantwortbar.
Was würde denn ein Bundesinnenminister Beckstein als Erstes angehen?
Das erste große Thema sind die kommunalen Finanzen. Sie sind in der tiefsten Krise. Der SPD-Oberbürgermeister von München, einer der reichsten Städte Europas, spricht von Pleite. Die großen Konzerne in der Stadt tragen nicht mehr über Steuern zur Erhaltung der Infrastruktur bei. Und all die Gemeinden, die noch nicht betroffen sind, werden in zwei Jahren beim Finanzausgleich merken, was da passiert. Rot-Grün hat die kommunalen Finanzen ruiniert. Es war verantwortungslos, Kommunen in einer derartigen Weise in Sparzwänge zu bringen, dass Kindergärten geschlossen werden müssen und Kultureinrichtungen von Kahlschlag bedroht sind. Das muss mit einem Sofortprogramm angegangen werden. Die Kommunen sollen umgehend wieder einen höheren Anteil an der Gewerbesteuer bekommen. Der Anteil von Bund und Ländern wird auf 20 Prozent verringert. Das macht als Sofortspritze bundesweit rund drei Milliarden Euro aus.
Wir hatten gedacht, Sie wollen zuerst das Zuwanderungsgesetz kassieren.
Es wird ein zweites Anliegen sein, das Inkrafttreten dieses Gesetzes zu verschieben. Das wird schon deshalb nötig sein, weil es bislang keinen Verordnungsvorschlag zu dem Gesetz und keine Ausführungsbestimmungen gibt. Das Gesetz gibt außerdem zu viele Ermessensspielräume. Das muss geändert werden, weil es sonst zum Vollzugs-Chaos kommt. Mit der FDP werden wir ein neues Gesetz machen, das Zuwanderung von hoch Qualifizierten nicht anders regelt als das jetzige, aber restriktiver sein wird bei den niedrig Qualifizierten. Insgesamt erweitert das rot-grüne Gesetz die Nettozuwanderung um 100 000 Personen pro Jahr. Wir wollen aber vor allem die Integration der hier lebenden Ausländer verbessern. Das wird die zentrale gesellschaftspolitische Aufgabe der nächsten Jahre sein. Das rot-grüne Gesetz sieht nur Kurse für neu Zuwandernde vor.
Was gibt Ihnen die Hoffnung, dass die FDP, die ja das rot-grüne Gesetz in weiten Teilen mittrug, da mitmacht?
Auch FDP-Chef Westerwelle hat eine Novellierung des Zuwanderungsgesetzes gefordert. Da sind wir uns schon mal einig. Sicher wird es Differenzen geben. Da müssen wir uns zusammenraufen.
In Berlin müssen Sie eine Koalition eingehen, für einen CSU-Mann etwas Ungewöhnliches. Würden Sie nicht lieber in München bleiben?
Ich habe keine Garantie von Edmund Stoiber, Bundesinnenminister zu werden. Wenn man eine große Schwester hat, die mit Sicherheit intensiv mitredet, und einen Koalitionspartner, den man braucht, kann ich so eine Garantie nicht erwarten. Wenn ich das Angebot bekomme, wird es aber keine Sekunde dauern, und ich habe zugesagt.
Und wenn nicht?
Dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ich in München bleibe.
Das Gespräch führten Robert Birnbaum und Albert Funk.
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