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Peter Beuth (CDU), Innenminister von Hessen, spricht mit Janine Wissler (Die Linke), Fraktionsvorsitzende ihrer Partei in Hessen, im Plenarsaal.

© Andreas Arnold/dpa

Nach neuer Morddrohung gegen Linken-Politikerin: Sonderermittler soll rechten Netzwerken in hessischer Polizei nachgehen

Die Suche nach dem Verfasser der ersten Drohmails mit dem Absender „NSU 2.0“ läuft in Hessen bereits seit Monaten. Nun tauchen neue Drohungen auf.

Von Frank Jansen

In Hessen eskaliert die Affäre um Drohungen eines oder mehrerer Rechtsextremisten namens „NSU 2.0“, die mutmaßlich aus den Reihen der Polizei stammen. Innenminister Peter Beuth (CDU) berief am Freitag einen Sonderermittler, der die Arbeit der Polizei im Fall der Serientaten leiten und auch dem Verdacht auf rechte Netzwerke in der hessischen Polizei nachgehen soll. Bislang hatte Beuth die Existenz solcher Gruppierungen bestritten.

Bei dem Sonderermittler handelt es sich um Hanspeter Mener, Leiter der Kriminaldirektion im Polizeipräsidium Frankfurt. Mener werde „mit einem neuen Blick auch neue Ermittlungsansätze einbringen“, sagte Beuth. Ziel sei es, „den oder die Täter aus der Anonymität zu reißen“. Unterdessen forderte Grünen-Chefin Annalena Baerbock, unabhängige Wissenschaftler sollten verfassungsfeindliche Tendenzen in den Sicherheitsbehörden untersuchen.

Mails von „NSU 2.0“ waren im Februar und vergangene Woche bei der Chefin der Linksfraktion im hessischen Landtag, Janine Wissler, eingegangen. Am Montag behelligte „NSU 2.0“ auch Beuth und Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU). Seit August 2018 werden zudem die Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz und ihre Familie per Fax und Mail mit Todesdrohungen überzogen.

An Freitag wurde bekannt, dass auch die Fraktionsvorsitzende der Linken im Berliner Abgeordnetenhaus, Anne Helm, per Mail mit dem Tode bedroht wurde. Sie habe eine Mail mit einer Art „Todesurteil“ erhalten, diese sei am vergangenen Wochenende auf ihrem privaten Account angekommen, sagte Helm am Freitag mehreren Medien, nachdem zuerst die „Tageszeitung“ (taz) berichtet hatte.

Die Bezeichnung „NSU 2.0“ ist eine Anspielung auf die Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“, die neun Migranten und eine Polizistin ermordet hatte. Basay-Yildiz vertritt im NSU-Verfahren die Familie des 2000 in Nürnberg erschossenen Enver Simsek. Janine Wissler bekam die erste Mail von „NSU 2.0“, nachdem sie sich Ende Januar mit Basay-Yildiz getroffen hatte. Der Absender scheint bei allen Drohungen derselbe zu sein. Beuth ist mit den Ermittlungen unzufrieden und macht jetzt vor allem dem Landeskriminalamt Vorwürfe.

Daten wurden von einem Rechner der Polizei abgerufen

Der Minister hatte erst am Mittwoch aus der Presse erfahren, dass persönliche Daten Wisslers aus einem Wiesbadener Polizeicomputer abgefragt wurden. Das LKA hatte dazu einen Beamten vernommen, aber den Vorgang nicht dem Innenminister gemeldet. Dies sei angesichts der Tragweite der Ermittlungen völlig inakzeptabel, sagte Beuth. Er steht unter Druck, weil es auch im Fall der Drohungen von „NSU 2.0“ gegen Basay-Yildiz offenbar einen Zusammenhang mit der Abfrage privater Daten der Anwältin und ihrer Familie aus einem Rechner im Ersten Frankfurter Polizeirevier gibt.

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Eine Beamtin hatte ohne dienstlichen Anlass das Melderegister angezapft. Über das Handy der Polizistin gab es eine Spur zu der Whats-App-Gruppe „Itiot“, in der Beamte Hakenkreuze, Hitlerbilder und diffamierende Äußerungen über Flüchtlinge und Juden verbreiteten. Im Juni 2019 wurde einer der Polizisten festgenommen. Der Verdacht, er habe mit den Drohungen gegen Basay-Yildiz zu tun, reichte aber nicht für eine Untersuchungshaft. Bei den Ermittlungen stieß die Polizei allerdings auf weitere rechte Beamte.

Aus Sicht von Basay-Yildiz will Beuth mit seiner Kritik am LKA von eigenen Versäumnissen ablenken. Beuth habe sich trotz der massiven Drohungen von „NSU 2.0“ gegen sie und ihre Familie nie bei ihr gemeldet, kritisierte die Anwältin. Sie habe inzwischen mehr als ein Dutzend Faxe und Mails bekommen. Im Darknet sei Geld für ein Attentat auf sie gesammelt worden. „Es wäre ein starkes Signal gewesen, der Minister hätte sich mal mit mir getroffen“, sagte Basay-Yildiz dem Tagesspiegel.

Im Februar 2019 waren Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine Frau mit Basay-Yildiz in Frankfurt zusammengekommen. Ein Sprecher des Innenministers erklärte, Beuth habe im Mai 2019 der Anwältin einen Brief geschrieben. Basay-Yildiz nennt den Brief allerdings eine Reaktion auf Äußerungen des Ministers, die verharmlosend gewesen seien.

Die Anwältin betonte, vom LKA fühle sie sich gut geschützt. Sie vertraue Behördenchefin Sabine Thurau. Die habe sich mit ihr getroffen, um über die Bedrohung zu sprechen. Beuths Kritik am LKA sei „Aktionismus“. Das Ministerium widersprach. Beuth handele nicht aus politischen Gründen, hieß es.

Drohungen sind Teil einer Hasskampagne gegen Politiker

Die Drohungen von „NSU 2.0“ sind Teil einer Hasskampagne von Rechtsextremisten gegen Politiker, Anwälte, Journalisten, Künstler und weitere Personen, die als Nazigegner bekannt sind. Neben der hessischen Linken-Fraktionschefin Janine Wissler haben offenbar weitere Politikerinnen der Partei Drohschreiben mit dem Absender „NSU 2.0“ erhalten. Betroffen davon seien die Linken-Bundestagsabgeordnete Martina Renner und die Linken-Fraktionschefin im Berliner Abgeordnetenhaus, Anne Helm, berichtete die „tageszeitung“ am Freitag.

Die Täter greifen auch die Berichte in Medien zu Hassmails auf, um die Hetze dann noch zu übertreffen. Typisch ist der Absender, der mit mehreren Namen auftritt, darunter „NSU 2.0“, „Staatsstreichorchester“ und „Wehrmacht“. Einen Rechtsextremisten konnten Polizei und Generalstaatsanwaltschaft Berlin aus dem Verkehr ziehen. Seit April 2020 muss sich André M. vor dem Berliner Landgericht verantworten. Der Mann soll als „National Sozialistische Offensive“ 87 Bombendrohungen verschickt und sich im Internet mit „Staatsstreichorchester“ zusammengetan haben.

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