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Syrien: Sprache der Gewalt

Seit Damaskus einen Waffenstillstand angekündigt hat, fliehen noch mehr Menschen in die Türkei. An Frieden glaubt niemand.

Die unvermindert anhaltenden Gefechte in Syrien treiben immer mehr Menschen aus dem Land. Innerhalb von 36 Stunden flohen bis zum Karfreitag fast 2800 Syrer in die Türkei, wie Außenminister Ahmet Davutoglu mitteilte. Die Gesamtzahl der Flüchtlinge stieg damit auf den neuen Höchststand von rund 24 000 Menschen. Erstmals seit Beginn der Syrienkrise im März vergangenen Jahres deutete Davutoglu an, dass die Türkei bald um Unterstützung der UN bei der Versorgung der Flüchtlinge bitten könnte.

In einem eilig anberaumten Telefonat mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon berichtete Davutoglu, wenige Tage vor Ablauf der Frist für den syrischen Truppenrückzug gebe es Hinweise auf besonders heftige Angriffe der Regierungstruppen in den grenznahen Provinzen Aleppo und Idlib. Die Entwicklung lässt auch eine türkische Intervention wahrscheinlicher werden: Ankara betrachtet einen Massenansturm von Flüchtlingen aus Syrien als eine Voraussetzung für die Einrichtung einer Pufferzone auf syrischem Gebiet.

Nach eigenen Angaben rief Davutoglu den UN-Generalsekretär mitten in der Nacht an und informierte ihn über den neuen Flüchtlingsansturm. Erstmals ließ Davutoglu dabei erkennen, dass die Türkei die Versorgung der Flüchtlinge nicht mehr lange alleine übernehmen kann. Die UN müsse bei diesem Thema eine „viel aktivere Rolle“ spielen als bisher, sagte er. Wenn sich der Trend der steigenden Flüchtlingszahlen fortsetze, müsse die UN eingreifen. Zudem berichtete Davutoglu dem UN-Generalsekretär nach Angaben eines Sprechers über Hinweise auf den Einsatz von Kampfhubschraubern bei syrischen Militäraktionen in der Nähe der türkischen Grenze.

Nach Angaben syrischer Aktivisten wurde am Freitag in Vororten der Hauptstadt Damaskus sowie in der zentralsyrischen Provinz Homs gekämpft; am Donnerstag starben nach Oppositionsangaben 77 Menschen bei neuen Gefechten. Offenbar versuchen die Truppen von Präsident Baschar al Assad, vor dem mit der UN vereinbarten Truppenabzug aus den Bevölkerungszentren am kommenden Dienstag möglichst viele Gebiete unter ihre Kontrolle zu bekommen. Die Türkei, andere westliche Staaten sowie die syrische Opposition bezweifeln, dass Assad sein Wort hält und am Dienstag den Befehl geben wird, das Feuer einzustellen. Davutoglu sagte, seit der Waffenstillstandsankündigung des syrischen Regimes vom vergangenen Montag habe sich die tägliche Zahl der ankommenden Flüchtlinge verdoppelt.

Auch Ban Ki Moon erklärte am Donnerstag besorgt, die Lage verschlimmere sich immer weiter. Syrien-Vermittler Kofi Annan sprach von Berichten über ein „alarmierendes Ausmaß an Opfern“ der anhaltenden Kämpfe. Bis Dienstag sollen die syrischen Regierungstruppen aus den Städten des Landes abgezogen werden. Anschließend soll laut Annan eine Feuerpause beginnen.

Mahmut Osman, der Türkeivertreter des Oppositionsdachverbandes Syrischer Nationalrat (SNC), erwartet nach eigenen Worten lediglich einen Scheinabzug der Regierungstruppen am kommenden Dienstag. Vor allem unter dem Druck seiner Verbündeten Russland und Iran werde Assad wahrscheinlich „ein paar Panzer zur Seite stellen“, um den Eindruck zu erwecken, er halte seine Zusagen an Annan ein, sagte Osman dem Tagesspiegel. Anschließend werde er wieder militärisch gegen die Regierungsgegner vorgehen. „Wenn sich die Armee wirklich aus den Städten zurückziehen würde, dann wären 80 Prozent des syrischen Staatsgebietes befreit, denn die wären dann nicht mehr unter der Kontrolle des Regimes.“

Die Türkei sieht sich zu einer grenzüberschreitenden Intervention berechtigt, falls der Flüchtlingsansturm zu groß werden sollte; der türkische Rote Halbmond erwartet bis zu einer halben Million Syrer, falls die nordsyrische Region um Aleppo, die mit mehr als zwei Millionen Einwohnern größte Stadt des Landes, von den Unruhen erfasst werden sollte. Nach Angaben türkischer Regierungspolitiker ist die Einrichtung einer Pufferzone eine Option für diesen Fall. „Wir sind sehr besorgt“, sagte Davutoglu.

Der Chef der syrischen Muslimbruderschaft, Riad al Schakfa, bekräftigte unterdessen die Forderung der Opposition nach einer Sicherheitszone. Das Gebiet solle von einer türkisch-arabischen Friedenstruppe gesichert werden, sagte Schakfa der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu. Auch Bassam Imadi, ein ehemaliger syrischer Botschafter in Schweden, sagte in Istanbul, mit Verhandlungen sei die Krise in Syrien nicht mehr beizulegen. „Das Regime versteht nur die Sprache der Gewalt“, sagte Imadi in Istanbul bei der Eröffnung einer internationalen Spendenaktion, mit der Geld für syrische Unruheopfer und für die Oppositionstruppe Freie Syrische Armee (FSA) gesammelt werden soll. „Dieses Regime ist nur mit Gewalt zu stoppen.“

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