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Nach Recht und Gesetz muss es im Strafgericht zugehen. Und das Gesetz sagt: Deutsch sprechen

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Streit um Dolmetschen im Gericht: So wichtig ist die deutsche Sprache nicht

Syrische Journalisten brauchen eine Übersetzung im Strafprozess, sagt das Verfassungsgericht - und zwingt die Justiz zu Aufgeschlossenheit. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Länger nichts gehört von einem Prozess, den die Bundesanwaltschaft als „weltweit erstes Strafverfahren gegen Mitglieder des Assad-Regimes“ angekündigt hatte. Doch nun bekommt das seit April laufende aufwändige Verfahren gegen zwei Ex-Geheimdienstler, denen Folter und Mord vorgeworfen wird, etwas Aufmerksamkeit – aus ungewohnter Perspektive. Das Bundesverfassungsgericht hat anhand des Falls jetzt erstmals entschieden, dass Journalisten, die ein Strafverfahren beobachten, aber kein Deutsch verstehen, Anspruch auf Übersetzung haben können (Az.: 1 BvR 1918/20).

Den hatte das Oberlandesgericht Koblenz zwei syrischen Berichterstattern noch verweigert. Einen „Flüsterdolmetscher“ mitzubringen, wie sonst möglich, verbot das Gericht wegen Corona-Abstandsregeln und reduzierter Saalkapazität. Ein Zugang zur gerichtlichen Simultanübersetzung für die Arabisch sprechenden Angeklagten wurde ebenfalls ausgeschlossen. Der Vorsitzende verwies auf Paragraf 184 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG): „Die Gerichtssprache ist deutsch.“

Der Prozess ist ungewöhnlich - ungewöhnlich international

Daran ist wenig zu deuteln. Es erscheint nachvollziehbar, dass ausländische Medien Deutsch sprechende Korrespondenten schicken sollten, wenn sie über einen Prozess in Deutschland berichten wollen. Und wenn nicht, sollte es dann wirklich Aufgabe der deutschen Justiz sein, ihnen eine Verständigung zu ermöglichen?

Die Antwort aus Karlsruhe – ein vorsichtiges Ja – sollte nicht als Bereitschaft missverstanden werden, den Damen und Herren aus dem Ausland unnötig dienstbar zu sein. Denn der Prozess in Koblenz ist schon deshalb ungewöhnlich, weil hier ein deutsches Gerichte über Syrer verhandelt, die ihre Taten in Syrien verübt haben sollen. Zuständig wäre also eigentlich die syrische Justiz, die ein Eingreifen aus bekannten Gründen unterlässt. Dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wiederum sind die Hände gebunden, weil Syrien nicht zu den Vertragsparteien gehört und außerdem Russland eine Strafverfolgung blockiert.

Die Bundesrepublik agiert hier nach dem „Weltrechtsprinzip“, wonach Delikte wie Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit unabhängig von Tatort oder der Nationalität von Tätern und Opfern von der deutschen Justiz abgeurteilt werden können. Der Ankündigung der Bundesanwaltschaft war durchaus zu entnehmen, dass man da etwas stolz drauf ist.

Richterinnen und Richter empfinden Presse oft als störend

Das Koblenzer Gericht konnte mit den damit einhergehenden diplomatischen Verpflichtungen offenbar schlecht umgehen. Es wirkt kleinkariert, wie man sich damit verteidigt, das gerichtliche Instrumentarium, etwa Kopfhörer, könne aus Gründen des Infektionsschutzes nicht benutzt werden. Auch leidet der Prozess keineswegs unter Andrang, eher ist das Gegenteil der Fall: Viele Zuschauerplätze bleiben regelmäßig leer. Statt sich auf Paragraf 184 Gerichtsverfassungsgesetz zu versteifen, wäre Geschmeidigkeit verlangt gewesen, um den Konflikt aufzulösen, bevor er Karlsruhe erreicht. So hatte es das Bundesverfassungsgericht auch schon einmal verlangt, als es 2013 um die Platzvergabe für türkische Medien im NSU-Prozess ging, die Richter Manfred Götzl damals für unbeachtlich hielt.

Es ist kein Geheimnis, weshalb. Viele Richterinnen und Richter empfinden Presse im Saal als eher unwichtig, oft sogar als störend. Wenn die Presse dann noch Ansprüche stellt – besonders unerfreulich. Dass die Freiheit der Berichterstattung, auch und gerade aus einem Gerichtssaal, einen Grundpfeiler der Demokratie bildet, wird leicht übersehen. Eigentlich ist es peinlich, dass das Verfassungsgericht die Justiz daran erinnern muss.

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