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Wladimir Putin griff 2015 in den Syrienkonflikt ein - auf Bitten von Staatschef Baschar al Assad.

© Foto (Archiv): Mikhail Klimentyev/picture alliance/AP Photo

Russlands Lehren aus dem Syrienkrieg: „Syrien war für Putin eine Testarena“

Gewalt ohne Gegenwehr, Waffen testen und Zweifel säen: Experte Daniel Gerlach erklärt, was Wladimir Putin aus dem Krieg in Syrien gelernt hat.

Daniel Gerlach gehört zu Deutschlands bekanntesten Nahostexperten. Der 44-Jährige ist Chefredakteur des Nahost-Magazins „Zenith“ und Direktor der Candid Foundation.

Herr Gerlach, Russland marschiert in die Ukraine ein, im Herbst 2015 intervenierte Wladimir Putin bereits in Syrien. Was verbindet diese beiden Ereignisse?
Vor allem ein Punkt: Putin sieht auf der westlichen Seite keine Gegenwehr. Das hat ihm 2014 schon die Annexion der Krim gezeigt. Er hat damals genau analysiert, wer ihm mit welchen Möglichkeiten gegenübersteht. Der Kremlchef konnte so abschätzen, was für ihn ohne größeres Risiko machbar ist. Das war auch in Syrien der Fall. Es gibt aber einen großen Unterschied zwischen der russischen Rechtfertigung für den Einsatz in der Ukraine und jenem in Syrien.

Welchen?
Im Syrienkonflikt hat Russland darauf geachtet, seine Militäroperationen völkerrechtlich zu legitimieren. Der Kreml verteidigte sein Eingreifen 2015 mit dem Hinweis, die legitime Regierung in Damaskus habe ihn um Hilfe im Kampf gegen Aufständische und Terroristen gebeten. Bei der Ukraine ist die Sache anders gelagert.

Inwiefern?
In der Begründung für die Ukraine-Invasion gibt es zwar auch eine Bezugnahme auf das Völkerrecht. Die ist jedoch dermaßen an den Haaren herbeigezogen, dass sie nicht die Absicht zu verfolgen scheint, irgendwen zu überzeugen. Der Einmarsch wird mal historisch, dann wieder mit einem angeblich drohenden Genozid begründet, der Ukraine im Grunde die Existenzberechtigung abgesprochen. Es scheint Putin völlig egal, was der Westen darüber denkt.

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Auch in Syrien bricht Russland fast jeden Tag das Völkerrecht, etwa, indem Schulen und Krankenhäuser angegriffen werden.
Was das humanitäre Völkerrecht und die Art und Weise Kriegführung betrifft, sind viele Verstöße belegt. Aber der Einsatz wird eben damit begründet, dass Russland dem syrischen Staat zur Hilfe geeilt ist.

Hat Putin in Syrien gelernt, dass sich militärische Gewalt auszahlt, weil keiner bereit ist, sich ihm in den Weg zu stellen?
Das weiß er gewiss nicht erst seit Syrien. Aber 2013 erfuhr er die Bestätigung erneut. Damals hatte Präsident Barack Obama gedroht, dass die USA und ihre Verbündeten beim Einsatz chemischer Waffen direkt in den Krieg eingreifen würden. Dass solche Waffen – laut internationalen Untersuchungen – dennoch zum Einsatz kamen, blieb für das syrische Regime folgenlos.

Ein Jahr später erfolgte die Annexion der Krim. Putin hat zudem immer wieder die Staatengemeinschaft auf die Probe gestellt. Zum Beispiel, indem er Berichte über Kriegsgräuel stets mit Gegen-Narrativen konterte.

Flächendeckende Bombardements gehören bis heute zu Russlands Militärtaktik in Syrien.
Flächendeckende Bombardements gehören bis heute zu Russlands Militärtaktik in Syrien.

© Omar Haj Kadour/AFP

Das heißt?
Für Moskau war der Aufstand gegen Assad, dem man im Ausland ja eher mit Sympathie begegnete, das Resultat eines Propagandafeldzugs, den es mit Gegenpropaganda abzuwehren galt. Dabei wurde es gleichgültig, was stimmte oder nicht. Es ging darum, maximale Zweifel zu säen, jede Nachricht als umstritten darzustellen.

Das zeitigte besonders dann Erfolge, als Russland und das Regime militärisch die Oberhand gewannen. Wenn es keinerlei Fakten gibt, auf die man sich verständigen kann, fehlt auch jede diplomatische Gesprächsgrundlage. Das heißt wiederum: Wer die Macht hat, kann tun und lassen, was er will.

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War Syrien für Russlands Armee auch eine Art militärisches Labor für Einsätze, wie wir sie jetzt in der Ukraine sehen?
Ja, das Land wurde zur Arena für das Testen und öffentliche Vorführen militärischer Güter aus russischer Produktion: bunkerbrechende Waffen, Drohnen, Luftabwehrraketen, Aufklärungstechnik, oder auch militärische Beratung. Syrien wurde zum Terrain, auf dem man militärische Taktiken aus den Tschetschenienkriegen verfeinern konnte.

Daniel Gerlach gehört zu Deutschlands bekanntesten Nahostexperten. Der 44-Jährige ist Chefredakteur des Nahost-Magazins „Zenith“.
Daniel Gerlach gehört zu Deutschlands bekanntesten Nahostexperten. Der 44-Jährige ist Chefredakteur des Nahost-Magazins „Zenith“.

© A. Emami

Die da wären?
Was bei Belagerungen mancher aufständischer Städte und Evakuierungen stattfand, erinnerte durchaus an die sowjetische Methode der „Filtrationscamps“, die in Tschetschenien zur Anwendung kam. Man leitet Bevölkerung durch Korridore, interniert sie und „filtriert“ etwa wehrfähige Männer heraus.

Eine andere Taktik: gezielte Zerstörung ziviler Infrastruktur. Nicht aus purem Sadismus, sondern um den Preis für den Gegner zu erhöhen. Wenn man ein Krankenhaus oder eine Bäckerei bombardiert, müssen Rebellen sich selbst medizinisch und mit Brot versorgen. Das bindet Kräfte.

Putin ist in Syrien mit geringem Aufwand ein maximaler strategischer Erfolg gelungen. An ihm als Machtfaktor kommt im Nahen Osten keiner mehr vorbei. Ist das auch sein Erfolgsrezept für die Ukraine?
Ich glaube, die Sache ist im Fall der Ukraine anders gelagert. Russlands Einsatz in Syrien gilt bis heute als ein zeitlich begrenzter: Wenn wir unsere Ziele erreicht haben, wenn sich die Lage „normalisiert“ hat, ziehen wir ab – und behalten vielleicht noch einen Militärflughafen und eine Marinebasis. In der Ukraine scheint es jedoch darum zu gehen, das Land zum Vasallenstaat zu machen oder vollständig in ein allrussisches Reich zu integrieren.

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