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Eine Deutschlandkarte mit Pflastern.

© Gestaltung: TSP/Sabine Wilms, Infografik: TSP/Fabian Bartel, Foto: freepik

Einig in Unzufriedenheit: Daran ist nicht nur die Politik schuld

35 Jahre nach der Wiedervereinigung wächst die Unzufriedenheit im Land. Darin sind sich Ost und West einig. Ausgerechnet. Dabei haben wir doch gelernt: Verheißungen können wahr werden.

Stand:

Einheit! Ist das nicht ein schönes Wort? Mindestens ist es doch eine Verheißung. 35 Jahre danach immer noch. Aber genau das ist, unglückseligerweise, gerade kein schönes Zeichen.

So viele Jahre sind ins Land gezogen, in dieses aus zwei Ländern vereinigte, und die Einheit muss weiter beschworen werden.

Was der „Kanzler der Einheit“, Helmut Kohl, der den 3. Oktober maßgeblich zum neuen Datum für deutsche Selbstfindung gemacht hat, sich wohl nicht hätte vorstellen können. Oder nicht vorstellen mögen: dass der deutsche Festtag keiner für alle Deutschen ist. Bei Weitem nicht.

Kein schöner Land in dieser Zeit? Zusammengewachsen sind die Teile in den über Jahrzehnte schnöde getrennten Auen und Tälern. Aber – Verzeihung für das Grenzpathetische – nicht in den Herzen. Die sind vielmehr randvoll mit Unzufriedenheit. Darin sind sich Ost und West einig. Ausgerechnet.

Nicht gesehen und gehört fühlen

Es wächst die Unzufriedenheit sogar aufeinander zu. Auch im Westen steigt die Zahl derer, die sich nicht – nicht mehr – gesehen, zu kurz gekommen fühlen. Das ist längst nichts mehr, das nur den Osten prägen würde.

Die Wahlergebnisse zeigen: Dieses Gefühl grassiert. In allen Landesteilen, sogar vereinzelt auch im wohlhabenden Süden. Darum fällt die Union, darum verfällt die SPD, darum müssen die Grünen kämpfen, die Liberalen erst recht. Wo die demokratische Mitte verliert, verliert allerdings gestalterische Politik an Einfluss und in der Folge zunehmend an Ansehen. Die Parlamente bilden es ab, die Umfragen schmieren ab.

Eine Verheerung, gleich einem Flächenbrand, der aber dringend eingedämmt werden muss. Unser schönes Land! Vom Osten ausgehend ist es gemeinsam erkämpft. Diese neue deutsche demokratische Republik darf sich nicht der flammenden Empörung ergeben.

Große Politik findet auch, oder vielleicht gerade jetzt, im vorpolitischen Raum statt, in Vereinen, in Stiftungen, überall, wo Menschen sich zusammenfinden, mit gutem Willen, zu einem guten Zweck.

Stephan-Andreas Casdorff

Eindämmen heißt: regieren. Regieren heißt: entscheiden. Die Entscheidung derer, die dazu aufgerufen sind, sie zu treffen, kann nur sein: die Lage im Land zu verbessern, so rasch und so entschlossen wie möglich, um die Demokratie zu beschirmen. Hier gibt es keine Alternative.

Im Westen war es schon zu sehen. Wer sich dazu bekennt, der kann nicht nur sich, sondern auch den Einfluss der Politik der Mitte vor allzu viel Radikalität retten. Die AfD konnte in Stichwahlen gelangen, aber keinen Stich machen. So soll es bleiben. Auch im Osten.

Verantwortung nicht nur auf „die Politik“ verlagern

Doch muss dafür zunächst der Weg zum Ziel erklärt werden. Auch im Sinne von Erklärung, Erläuterung. Es darf nicht alles an Verantwortung auf „die Politik“, auf die da oben, verlagert werden.

Politik macht Staat, aber der sind wir alle. Wir sind der Souverän. Wir müssen die Last der Verantwortung mittragen, damit bleibt, was ist – die hart errungene Demokratie –, und geschieht, was sein soll: eine Übereinstimmung der Lebensverhältnisse. Und zwar im allerbesten Sinn.

Das kann gelingen! Vom Kanzler angefangen. Der hat – auch noch mit passendem Titel – in seinem Haus eine Staatsministerin für Sport und Ehrenamt ernannt. Wenn das kein Zeichen ist. Große Politik findet auch, oder vielleicht gerade jetzt, im vorpolitischen Raum statt, in Vereinen, in Stiftungen, überall, wo Menschen sich zusammenfinden, mit gutem Willen, zu einem guten Zweck.

Das Kanzleramt ist entscheidend wichtig, keine Frage, das Ehrenamt wird immer wichtiger. Sport, Musik, Kultur – Zusammenfinden heißt Zusammenwachsen, heißt: zusammen wachsen. In Einigkeit und Recht und Freiheit, das alles zusammengenommen, ist ja des Glückes Unterpfand, nicht wahr?

Einheit! So ein schönes Wort, zumal für unser Land. Das ist doch das seit Jahrzehnten schönste weit und breit. Und wer das vor mehr als 35 Jahren gesagt hätte, dem hätte die Mehrheit nicht geglaubt. Im Westen wie im Osten nicht. So viele waren skeptisch, mindestens das.

Damals war die Entwicklung bestenfalls eine Verheißung. Aber wir in diesem vereinigten Deutschland wissen es jetzt besser. Wir wissen: Verheißungen können wahr werden. Es liegt an uns.

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