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Abgelehnte Asylbewerber steigen in ein Flugzeug.

© Daniel Maurer/dpa

Rückführungen nach Afghanistan: Termin nicht eingehalten? Abgeschoben

Idris A. ist kein Straftäter. Die Ausländerbehörde in Bayern wirft dem Afghanen lediglich vor, ein Dokument nicht rechtzeitig vorgelegt zu haben.

Idris A.* hat wohl nichts verbrochen. Zumindest behauptet niemand das Gegenteil. Auch nicht die schwäbische Ausländerbehörde, die ihn abgeschoben hat. Ende März ging es für ihn im Abschiebeflieger von Leipzig nach Kabul. Dort sitzt er nun in einem Hotel und weiß nicht, wohin. Er hat Angst, auf die Straße zu gehen. Ein befreundeter Geflüchteter aus seiner ehemaligen Unterkunft in Bayern hat ihm Geld überwiesen. Er konnte es aber noch nicht von der Bank holen, da dort ein Selbstmordattentat stattgefunden habe, berichtete er Claudia Kuss vom Helferkreis Asyl Obergünzburg/Allgäu via Skype. Kuss hatte den Mann während seiner Unterbringung in Deutschland betreut und unterstützt.

Flüchtlingsorganisationen versuchen, ihn zurück nach Deutschland zu bringen, sein Bruder Wahid lebt in München und hat einen deutschen Pass, sagt Kuss. Eigentlich schiebt Deutschland auch gar nicht in das vom Krieg zerstörte Land ab - allein in Kabul sind seit Januar rund 190 Menschen bei sechs schweren Anschlägen umgekommen. Die Ausnahme bilden drei Personengruppen: Straftäter, sogenannte Gefährder und "hartnäckige Identitätsverweigerer".

Die Ausländerbehörde stufte Idris A. als „Identitätsverweigerer“ ein. In Deutschland eingereist war er bereits 2015, nachdem er aus dem Iran nach Afghanistan abgeschoben worden war – ohne Dokumente. Er hatte nie einen iranischen Pass, da er als Geflüchteter niemals als iranischer Staatsbürger anerkannt wurde. Er hat auch keinen afghanischen Pass und auch keine afghanische Tazkira, weil er im Iran aufwuchs. Eben diese Tazkira, ein Ersatzdokument aus Afghanistan, sollte er der deutschen Ausländerbehörde vorlegen.

Abgeschoben mit der Tazkira in der Hand

2017 übernahm ein Anwalt in Kabul die Beschaffung der Tazkira. Somit konnte Idris A. diese vorlegen – jedoch zu spät. Der Ausländerbehörde hat das zu lange gedauert. Idris A. hätte das Dokument vorher vorlegen oder nachweisen müssen, dass er daran arbeite, es zu bekommen. Betreuerin Kuss sagt, genau das habe der Mann getan. Es ist ein weiterer Fall von im Iran aufgewachsenen Afghanen, die von Deutschland abgeschoben werden.

Mit der Tazkira in der Hand sei Idris A. abgeschoben worden, erzählt Kuss. Vierzehn Tage zuvor habe er ein Foto von dem Dokument an die Ausländerbehörde geschickt. Ein Geflüchteter aus der Unterkunft berichtete ihr, dass Idris A. mit Handschellen aus der Unterkunft gebracht worden sei. Er habe versucht, die Tazkira den Beamten zu übergeben. Doch diese hätten gesagt, die Akte sei bereits geschlossen.

Das Bayerische Innenministerium möchte sich zu dem Fall nicht äußern und verweist auf die zuständige Ausländerbehörde. Diese sagte auf Nachfrage, die „angeblich existierende Original-Tazkira“ sei zu keinem Zeitpunkt abgegeben worden. Dies sei jedoch „problemlos möglich gewesen“, da Polizeibeamte mit dem Betroffenen auf dem Weg zum Flughafen noch bei der Ausländerbehörde vorbeigefahren seien. Im nächsten Satz heißt es von der Ausländerbehörde dann: „Der Umstand, dass die Person im Besitz der Original-Tazkira war, ändert nichts an der Tatsache, dass sie zwei Jahre lang nicht an der Klärung ihrer Identität mitgewirkt hat.“

Der Asylbewerber sei den Aufforderungen nicht nachgekommen

Der Asylantrag von Idris A. wurde 2016 abgelehnt, seine Klage dagegen zwei Monate später abgewiesen, seine Berufung Anfang 2017 zurückgewiesen. Die Ausreisepflicht wurde am 26. März 2018 durchgesetzt. In der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichts heißt es, er habe erst zweieinhalb Jahre nach seiner Einreise die Kopie einer Tazkira vorlegen lassen. Es sei jedoch schon früher notwendig gewesen, bei der Beschaffung eines Identitätspapieres mitzuwirken. So habe er zum Beispiel das Generalkonsulat aufsuchen und einen Passantrag stellen sollen. Dieser Aufforderung sei er nicht nachgekommen, da er den Pass „lediglich schriftlich“ beantragt habe.

Flüchtlingshelferin Kuss verfügt jedoch über ein Dokument der afghanischen Botschaft, das belegen soll, dass er dort persönlich gewesen ist. Darauf steht, Idris A. habe am 19. Juli 2017 persönlich beim afghanischen Generalkonsulat vorgesprochen. Diese Bestätigung habe Idris A. auch zur Ausländerbehörde nach Augsburg gebracht. Seine Sachbearbeiterin habe dies auch bestätigt. Doch die Sachbearbeiter wechselten und waren für Kuss nur schwer zu erreichen. Die Beschaffung der Tazkira durch den Anwalt hatte sich auch verzögert, da dieser bei einem Bombenanschlag in Kabul verletzt worden sei, erzählt Kuss weiter.

Geflüchteter fährt mit seinem Bruder zur Ausländerbehörde

Sie hat Idris A. zwei Jahre lang betreut und versichert, dass Termine eingehalten wurden. Der Asylbewerber sei sehr wohl zu einem Termin mit der Ausländerbehörde erschienen. In seinem Abschiebebescheid steht, dies sei nicht der Fall gewesen. Kuss sagt, der Helferkreis könne bestätigen, dass Idris A. sich bemüht habe, seine Tazkira zu beschaffen. Eine Lücke habe es lediglich zwischen Juli und Dezember 2017 gegeben. Eine Sachbearbeiterin der Ausländerbehörde sagte ihr jedoch, der Asylbewerber hätte eigenständig den Kontakt mit der Behörde halten müssen.

Idris A. sei auch mit seinem Bruder zur Ausländerbehörde gefahren und dieser habe dort seinen deutschen Pass gezeigt sowie Familienfotos, auf denen Idris A. eindeutig zu erkennen gewesen sei, so Kuss. Sie seien auch bereit für einen DNA-Abgleich gewesen. Doch die Sachbearbeiterin habe erklärt, dass dies für sie nicht von Bedeutung wäre. Einzig die Tazkira und der Pass seien entscheidend.

Bayerische Grüne kritisieren Asylpolitik

Christine Kamm, die für die Grünen im Bayerischen Landtag sitzt und Sprecherin für Asylpolitik ist, hat bereits eine Anfrage an die Bayerische Staatsregierung geschickt: „Wie kann der Widerspruch zwischen dem Vorwurf hartnäckiger Identitätsverweigerung und der Tatsache einer baldigen Vorlage der Tazkira in Verbindung mit den dafür aufgewendeten Bemühungen des Asylbewerbers aufgelöst werden?“, heißt es dort etwa. Eine Beantwortung steht noch aus. Es sei skandalös, so Kamm, dass jemand abgeschoben werde, der das angeforderte Dokument beschafft habe. „Die Mitwirkungspflicht wird von den bayerischen Ausländerbehörden und dem bayerischen Innenministerium genutzt, um willkürlich Personen abzuschieben, die in der Vergangenheit vielleicht einmal einen Botschafts- oder Behördentermin versäumt haben oder irgendwann mal in der Vergangenheit nicht schnell genug alles Mögliche getan haben, um die Papiere zu beschaffen.“ Das Vorgehen Bayerns sei ebenso absurd wie ungerecht.

*Name geändert

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