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Machtmensch. Mit einer Zweidrittelmehrheit kann Ungarns Regierung ihr Land umgestalten – ihrem Chef widerspricht niemand mehr. Foto: Radovan Stoklasa, Reuters

© REUTERS

Ungarns Ministerpräsident Orban: Tiger sucht Grenzen

Ungarns Ministerpräsident Orban hat die Demokratie umgekrempelt und alle Gegner ausgeschaltet – jetzt muss er sich international bewähren.

Herman Van Rompuy lobte am Silvesterabend in Budapest Viktor Orbans Regierung, ihre „ausgezeichnete Arbeit“. Auch die „gute Vorbereitung“ der Übernahme des EU-Vorsitzes durch Ungarn am Neujahrstag lobte der Präsident des Europäischen Rats. Ungarns Außenminister Janos Martonyi hatte monatelang in drei ausgezeichnet beherrschten Fremdsprachen ausländische Gesprächspartner zu überzeugen gesucht, dass die Ratspräsidentschaft mit den meisten Konferenzen im neu renovierten Schloss Gödöllö, dem Lieblingsschloss von Kaiserin Elisabeth, glänzend über die Bühne gehen würde.

Doch spricht in der europäischen Integrationsgeschichte zum ersten Mal der Außenminister eines Mitgliedslandes einem anderen EU-Staat die Eignung für die EU- Präsidentschaft ab: Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn verglich Ministerpräsident Victor Orban wegen des neuen Mediengesetzes mit dem weißrussischen Diktator Lukaschenko und betonte in Anspielung auf die Sanktionen gegen Österreich im Jahr 2000 wegen der FPÖ-Regierungsbeteiligung: „Im Vergleich zu den ungarischen Plänen war Haider ein Messdiener, der nie versucht hat, die Medien unter staatliche Kontrolle zu stellen.“

Der Historiker Michael Stürmer warnt in der „Welt“ vor der Entstehung eines „skrupellosen und machtbewussten Führerstaates des Viktor Orban“, die De-facto-Abschaffung der Pressefreiheit durch das Mediengesetz sieht fast jeder in Europa als Gefahr. Die „Washington Post“ warnt vor einer „Putinisierung Ungarns“.

Mit ihrer Zweidrittelmehrheit kann Orbans Regierung nach Belieben schalten und walten: In der letzten Sitzungsperiode des Parlaments wurde mit 43 neuen Gesetzen und 107 Gesetzesänderungen einschließlich sechs Verfassungsänderungen ein beispielloses Tempo vorgegeben. Die Einführung einer in erster Linie internationale Finanzinstitute und ausländische Unternehmen belastenden Banken- und Krisensteuer, die Verstaatlichung des Rentensystems, die Umstellung des Wahlsystems, die rückwirkende Kürzung der Pensionen und die Beschneidung der Kompetenzen des Verfassungsgerichtes wurden beschlossen. Mit der selbst in rechtskonservativen Kreisen missbilligten Ablösung des Verfassungsrechtlers Laszlo Solyom durch den Ex-Fecht-Olympiasiegers und braven Fidesz-Parteisoldaten Pal Schmitt entschärfte Orban die 1990 bei der Wende verfassungsmäßig verankerte Bremse der Exekutivmacht.

Mit der eiligen systematischen Zerlegung der Kontrollorgane des Rechtsstaates gelang es Orban schneller als erwartet oder befürchtet, das Land umzukrempeln. Es gibt heute kaum eine Demokratie im Westen, in der ein Regierungschef über den Regierungsapparat die Justiz und alle Medien so ungehindert beherrschen kann wie dieser geniale Machtpolitiker. Seine Reaktion auf die internationale Kritik spiegelt eine an Hybris grenzende Selbstgewissheit und Arroganz: „Ich denke nicht in Traum daran, das Gesetz zu ändern und bin nicht geneigt, mit zitternden Knien auf Parlamentsdebatten oder westliches Echo zu reagieren.“

Wer ist dieser 47-Jährige, der die Sehnsucht vieler von dem Systemwechsel und der Wirtschaftskrise tief enttäuschten Ungarn nach dem starken Mann erfüllt? Als ich im ORF am 16.Juni 1989 die denkwürdige Trauerfeier vor den Särgen des 31 Jahre zuvor bei einem Geheimprozess zum Tode verurteilten Ministerpräsidenten der 1956er Revolution, Imre Nagy, und seiner vier Schicksalsgenossen kommentierte, überraschte mich als letzter Redner ein 26-jähriger bärtiger Student. Er hatte allen Rednern mit scharfen Forderungen nach Demokratie, Unabhängigkeit und dem Abzug der damals noch 70 000 sowjetischen Soldaten die Schau gestohlen und wurde schlagartig bekannt.

Der wortgewaltige Revoluzzer vertrat eine neue eigenständige Jugendorganisation, den Bund der Jungen Demokraten (Fidesz). Neun Jahre später wurde Orban, inzwischen ohne Bart und mit Krawatte, mit 35 Jahren zum jüngsten Ministerpräsidenten Ungarns gewählt. Schlüssel zu diesem Aufstieg war ein zielbewusster, skrupelloser Schwenk nach rechts. Mit taktischer Begabung und engen Freunden hat er die einst basisdemokratische Bewegung seit 1994 in eine Führerpartei umgestaltet. Nach dem Schock der Niederlagen 2002 und 2006 gegen sozialliberale Bündnisse konnte er am Vorabend seines 47. Geburtstages 2010 einen epochalen Wahlsieg erringen. Nationalistische, klerikale und linkspopulistische Phrasen ermöglichten ihm, enttäuschte linke Wähler und Teile des rechtsextremen Randes zu gewinnen und mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit seinen größten Triumph zu feiern.

Heute bestätigt er, was der Politologe Laszlo Lengyel bereits 1998 schrieb: „Viktor Orban vertraut niemandem. Er ist eine Tigernatur; unbarmherzig erschlägt er seine Opfer, er besitzt keine inneren Grenzen.“ Und nach der „erfolgreichen Revolution in den Wahlkabinen“ hat er in seiner Umgebung keinen mehr, der ihn vor den Folgen seiner Politik warnen könnte. Dabei wird immer klarer, dass er außer dem Drehbuch für die totale Eroberung der Macht kein Konzept für die Wirtschafts-, Sozial- und Bildungspolitik vorzuweisen hat. In der Staatsbürokratie herrscht heilloses Durcheinander. Die internationale Verurteilung des Mediengesetzes ist die erste Quittung für seinen Hochmut.

Doch Orban bleibt auf Konfrontationskurs auch zum Internationalen Währungsfonds und den Großbanken. Die von Fraktionskämpfen erschütterten und im Korruptionssumpf steckenden Sozialisten leisten keinen nennenswerten Widerstand. Mit Gesetzen für die Doppelstaatsbürgerschaft und Wahlrecht für Auslandsungarn sowie mit antikapitalistischer Stimmungsmache gelang es dem gewieften Taktiker, auch der rechtsextremen Jobbik Partei das Wasser abzugraben. Das einzige Gegengewicht zu Orban könnten die internationale Öffentlichkeit, die Medien und die Finanzwelt werden. Pauschalurteile über die Ungarn würden dagegen wohl kontraproduktiv wirken.

Der österreichische Publizist Paul Lendvai stammt aus Ungarn. Im Oktober erschien sein Buch „Mein verspieltes Land – Ungarn im Umbruch“ im Ecowin-Verlag.

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