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Der Millionär Osman Kavala im Jahr 2014

© imago/ZUMA Press

Osman Kavala: Türkei rechnet mit den Gezi-Aktivisten ab

Dem türkischen Kunstmäzen Osman Kavala droht eine lebenslange Haft. Die Regierung Erdoğan unterstellt ihm einen Putschversuch während der Gezi-Proteste.

In den letzten Jahren ist die türkische Justiz gegen viele Oppositionelle vorgegangen, doch der voraussichtliche Prozess gegen Osman Kavala wird herausstechen. Der Millionär ist ein prominenter Vertreter der türkischen Zivilgesellschaft und Partner vieler EU-Institutionen. Nun verlangte die türkische Staatsanwaltschaft lebenslange Haft für ihn.

Kavala habe die regierungsfeindlichen Gezi-Proteste des Jahres 2013 organisiert und damit einen Putschversuch unternommen, heißt es in der in der am Mittwoch vorgelegten Anklageschrift laut Medienberichten. Der Angeklagte sitzt seit über 15 Monaten in Untersuchungshaft. Der Fall könnte neue Spannungen zwischen der EU under der Türkei auslösen, europäische Institutionen haben bereits den Umgang mit Kavala scharf kritisiert.

Als Spross einer wohlhabenden Unternehmerfamilie gründete Kavala eine Kulturstiftung. Über die Jahre wurde diese ein enger Partner europäischer Institutionen am Bosporus. Der Millionär kümmerte sich besonders um Minderheiten wie Griechen, Juden und Armenier – auf diese Art wolle er etwas gegen die starke Polarisierung in der türkischen Gesellschaft tun, sagte er einmal. Doch die türkischen Behörden legen ihm nun dieses Engagement als staatsfeindliche Aktivität aus.

Die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan sieht die Gezi-Proteste, die sich an Plänen zur Bebauung des kleinen Gezi-Parks in Istanbul entzündet hatten, schon länger als Umsturzversuch. Die Demonstrationen damals seien das Werk in- und ausländischer Verschwörer gewesen, sagte Erdoğan im Dezember. Außerhalb der Türkei habe der Finanzier George Soros die Hauptrolle gespielt, in der Türkei selbst seien die Fäden des Aufstandes bei Kavala zusammen gelaufen.

Auch Can Dündar soll angeklagt werden

Spätestens seit diesen Vorwürfen des Staatspräsidenten war eine Anklage der größtenteils auf Regierungslinie gebrachten türkischen Justiz absehbar. Türkische Medien berichteten am Mittwoch, auch die angebliche Rolle von Soros' Stiftung für eine offene Gesellschaft bei den Gezi-Unruhen werde in der 657 Seiten starken Anklageschrift beschrieben. Nun muss die 30. Kammer des Istanbuler Schwurgerichts über eine Annahme der Anklage und die Eröffnung eines Prozesses entscheiden. Alles andere als eine Zulassung der Anklage wäre eine Überraschung.

Unter den insgesamt 16 Angeklagten, für die alle lebenslange Haft beantragt wird, ist unter anderem der in Berlin lebende türkische Journalist Can Dündar. Die Türkei verlangt von Deutschland seit längerem seine Auslieferung. Ebenfalls auf der Liste steht die Architektin Mücella Yapıcı, die 2013 eine der prominentesten Kritikerinnen der Pläne für eine Umgestaltung des Gezi-Parks war.

Auch der ins Ausland geflohene Schauspieler Mehmet Ali Alabora wurde angeklagt. Während der Gezi-Proteste zog Alabora den Zorn Erdoğans auf sich, als er auf Twitter betonte, bei den Demonstrationen gehe es nicht nur um Bäume – für Erdoğan war das ein Beweis dafür, dass die Gezi-Leute seinen Sturz anstrebten.

Vorwürfe auch gegen die Friedrich-Naumann-Stiftung

Die regierungsnahe Presse in der Türkei hatte in den vergangenen Monaten auch der deutschen Friedrich-Naumann-Stiftung vorgeworfen, staatsfeindliche Aktivitäten in der Türkei zu finanzieren. Nachdem sich Soros' Stiftung aus der Türkei zurückgezogen habe, sei die FDP-nahe Naumann-Stiftung an deren Stelle getreten und unterstütze „bösartige“ Organisationen in der Türkei, schrieb die islamistische Zeitung „Yeni Akit“ Ende des vergangenen Jahres. Ob die Naumann-Stiftung auch in der Anklageschrift gegen Kavala genannt wird, war am Mittwoch zunächst nicht bekannt.

Dass die Vorwürfe gegen die Gezi-Bewegung reichlich absurd wirken, stört die Justiz nicht. Auch die Frage, warum sich seit 2013 lange Zeit niemand für die angeblich so gefährlichen Aktivitäten von damals interessierte, bleibt unbeantwortet. Vor den Kommunalwahlen im März wolle die Regierung die Gesellschaft spalten und die Gezi-Unterstützer isolieren, sagte die Aktivistin Mücella Yapıcı kürzlich dem türkischen Dienst der Deutschen Welle.

Die EU hatte die Türkei im vergangenen Herbst mit Blick auf Kavala aufgerufen, den „Trend“ beim Abbau rechtsstaatlicher Prinzipien umzukehren. Die türkischen Behörden lassen aber keine Änderung ihrer Haltung erkennen. Erst am Dienstag hatte ein Gericht die Haftstrafen gegen Journalisten der Oppositionszeitung „Cumhuriyet“ bestätigt.

Die Regierung in Ankara verdächtigt die Europäer, mit angeblichen türkischen Staatsfeinden zu paktieren. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier setzten sich verdächtig engagiert für Kavalas Freilassung ein, sagte Erdoğan im Dezember. „Warum mögt ihr diesen Mann so sehr?“ habe er die Kanzlerin und den Bundespräsidenten gefragt, hieß es.

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